Der Name Prof. Peter Kulka (1937 bis 2024) ist eng mit dem Sächsischen Landtag verbunden. In den 1990-er Jahren entwarf der renommierte Dresdner Architekt den Landtagsneubau mit Plenarsaal. Das einst erste neue Parlamentsgebäude der ostdeutsche Bundesländer gilt als Symbol des demokratischen Neuanfangs und einzigartiges Baudenkmal der sächsischen Moderne nach der Friedlichen Revolution 1989. Im Jahr 2022 beschloss das Parlament die Erweiterung und Sanierung des Parlamentsgebäudes. Die Planungen verantwortet das Büro von Prof. Peter Kulka.
Wenige Monate vor seinem Tod sprach Kulka im September 2023 ausführlich über sein Lebenswerk, die Verbundenheit zu Dresden sowie den Sächsischen Landtag und dessen Erweiterung.
Im Sommer 2023 ist der Neubau des Sächsischen Landtags 30 Jahre alt und unter Denkmalschutz gestellt worden. Die ersten Plenarsitzungen fanden am 14. und 15. Oktober 1993 statt. Welche Gedanken kommen Ihnen, wenn Sie auf die vergangenen 30 Jahre zurückschauen?
Das ist wie das Leben, nicht gleichbleibend. Es ist so, wie wenn ein Mensch auf die Welt kommt und alle Phasen des Lebens durchmacht. Bis hin zum Erwachsenwerden. Ich bin ja mitgewachsen und mitgealtert. Die Architektur ist Abbild von Leben. Die Entstehungszeit war eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung. In dem Neubau steckt eine ganze Menge von Träumen und Wünschen drin – das Gebäude verkörpert Transparenz und Offenheit.
In den kommenden Jahren soll der Landtag erweitert und angebaut werden. Was bedeutet das für Sie?
Durch die neuen Anforderungen, die sich ergeben, schaut man wieder genauer hin. Natürlichauch auf die Schwachstellen – so wie bei einem Bild. Nehmen Sie einmal den Maler Gerhard Richter. Er wird auch nicht erst auf das Urteil der Leute warten, sondern sein Werk zuerst selbst beurteilen. Das geht mir genauso. Wir sind sehr dankbar, dass wir erneut das Vertrauen des Freistaates Sachsen, der Stadt Dresden und des Sächsischen Landtags gewonnen haben. Die jetzige Situation des Weiterbauens bietet die Chance, das gesamte Ensemble an diesem einmaligen Ort zu vervollständigen. Die Bezüge zwischen den bereits entstandenen und neu entstehenden Bauten werden durch begrünte Freiräume gestärkt. Es bietet sich die Möglichkeit, ein Landtagsensemble als "Stadt in der Stadt" zu entwickeln – der Kubus inmitten des bisherigen Landtags als Kommunikationszentrum und der Anbau auf der Freifläche vor dem Erlweinspeicher für die tägliche Büroarbeit, unterirdisch mit dem Bestand verbunden. Zusätzlicher Raumbedarf, neue ökologische und technische Anforderungen sowie erhöhte Sicherheitsbestimmungen stehen im Fokus des Planungsprozesses, ohne die Offenheit und Transparenz infrage zu stellen – ein Landtag braucht trotz allem einen einladenden Charakter.
Ihre Familiengeschichte ist eng mit Dresden verbunden. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Mein Vater war Architekt, er war Schüler von Wilhelm Kreis. Er war ein Bauernjunge, der sich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in Dresden selbstständig gemacht hat. Zuvor hatte er bereits in sehr guten Architekturbüros gearbeitet, unter anderem auch am Bau des Hygiene-Museums mitgewirkt. Leider ist er am Ende des Krieges gefallen. Als der Krieg begann, hatte er es gerade geschafft, größere Aufgaben zu übernehmen. Meine Mutter war Architektenfrau, sie hat das Geschäft mitgeführt. Als ältester Sohn musste ich früh selbstständig werden und meinen Weg gehen.
Wenn Sie heute durch den Landtag gehen oder außen entlang, gibt es eine Sache, die Sie heute anders machen würden?
Es gibt einen Punkt, über den ich mich bis heute ärgere. Es handelt sich um die Beleuchtung des Plenarsaals und deren Spiegelung in der Dunkelheit, die durch die Geometrie des runden Raumes entsteht. Ich wünsche mir sehr, dass wir jetzt doch noch eine bessere Lösung dafür finden werden, ohne die Transparenz aufzugeben.
Aus welchem Verständnis heraus entstand damals der Landtagsneubau an der Elbe?
Dieser Bau war aus der Überzeugung heraus gedacht, dass die Euphorie der Anfangszeit vieles leisten kann. Die Klarheit und Ablesbarkeit des baulichen Gefüges sind die Bescheidenheit des Ausdrucks. Zum Beispiel war der Sächsische Landtag der erste Landtag, der die Bannmeile ums Gebäude aufgelöst hat. Das fand ich ein gutes Signal für die neu gewonnene Demokratie. Der Bau sorgte über die Grenzen Deutschlands hinweg für Aufmerksamkeit und Manfred Sack titelte im Feuilleton der "ZEIT": "Hereinspaziert".
Wie fügen sich die Pläne für die Landtagserweiterung in das bestehende Stadtbild ein?
Am Ende wird es ein vollständiges Ensemble sein. Ein Ensemble aus Ungleichen wie dem dominanten Erlweinspeicher, dem Landtag und dem Kongresszentrum. An diesen unterschiedlichen Bauten kann man die Zeitschichten und ihre Geschichte ablesen. Genau das macht eine Stadt interessant und gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Der Anbau wird mit senkrechten, schlanken Säulen einen bewussten Kontrast zum Landtagsneubau mit seinen vielen waagerechten Linien bilden. Die Horizontalen symbolisieren einen bewussten Dialog mit dem Anfang der Moderne und haben etwas zutiefst Demokratisches. Die Vertikalen sollen das Gebäudeensemble auflockern.
Auf dem Dach des neuen Kubus im Innenhof sollen Bäume gepflanzt werden. Ist das ein Beitrag zum Klimaschutz oder eher ein modischer Hingucker?
Wir sind in vielen Dingen Vorbild mit unseren Gestaltungen. Auch Nachhaltigkeit ist für ein wichtiges Thema. Wir sind bereits jetzt in der Planungsphase dabei, die Bäume auszusuchen. Damit die Gewächse Zeit zum Großwerden haben, werden sie schon parallel zum Bau in einer Baumschule angezüchtet werden.
Die Frage der Nachhaltigkeit kann ich ganz klar beantworten: Wir bauen weiter. Das ist das nachhaltigste, was man heute tun kann. Abreißen und neu bauen wäre teurer und ressourcenverschwendend.
Ist die zurückhaltende, klare Gestaltung demokratischer Bauten noch zeitgemäß? Müssten sie sich angesichts der Krise der Demokratie heute nicht viel auffälliger im öffentlichen Raum präsentieren?
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Wiedergewinnung der Demokratie im Ostteil waren ein Glücksfall. Also, wer hat daran geglaubt, dass diese Wiedervereinigung jemals stattfinden wird? Es hat uns alle über-rascht. Wir haben damals nach 1990 von Hoffnung und Euphorie gelebt. In so einer Situation ist man gerne gewillt, das idealistisch in die Zukunft zu projizieren. Ich fand aber diese Bescheidenheit und Schlichtheit als Gestaltungsmerkmal aus tiefster Überzeugung sehr angemessen. Demokratische Schlichtheit grenzt sich ja auch von der Monumentalität der Diktatur ab … Diktaturen schaffen nicht selten überhöhte und radikale Monumentalität – im Gegensatz zur Demokratie, die aus Überzeugung vielfältig ist. Und das ist gut so, weil dadurch auch den unterschiedlichen Meinungen der Bürger Rechnung getragen wird und Diskussionen möglich sind. Alle Kunst, auch die Baukunst, braucht die Freiheit.
Interview: Dr. Daniel Thieme, Katja Ciesluk (September 2023)
Peter Kulka wurde 1937 in Dresden geboren. Nach einer Maurerlehre studierte er Architektur an der Hochschule Berlin-Weißensee. 1965 flüchtete er in den Westen, wo er seit 1969 als selbstständiger Architekt tätig ist. Seine Berufung als Universitätsprofessor an die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen erfolgte 1989. Im Jahr 1979 gründete er sein eigenes Büro in Köln, dem 1991 eine Niederlassung in Dresden folgte. Er war seit 1995 Mitglied der Kunstkommission der Stadt Dresden und gehörte 1996 zu den 30 Gründungsmitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste in der Klasse Baukunst. Am 5. Februar 2024 verstarb Kulka im Alter von 86 Jahren in Dresden.
Neben dem Sächsischen Landtag in Dresden entwarf er u. a. auch das neue Gebäude des Brandenburger Landtags in Potsdam unter Wiederrichtung der barocken Stadtschlossfassade sowie die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig. In Dresden zeugen das Residenzschloss Dresden (Wiederaufbau des Ostflügels) sowie das Deutsche Hygiene-Museum (Erweiterung und Neugestaltung) von seiner Arbeit.
Für die Gestaltung des Landtagsneubaus erhielt Kulka mehrere Auszeichnungen, darunter den Preis des Bundes der Architekten (1994) sowie den Deutschen Stahlbaupreis (1994).