12.03.2024
Am 12. März 2024 sprach in Dresden der ehemalige Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck über den Zustand der Demokratie und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert ist. Joachim Gauck war auf Einladung von Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler nach Dresden gekommen. Der 16. Gesprächskreis im Ständehaus stand unter der Überschrift „Erschütterungen – Joachim Gauck im Gespräch“.
Dreimal, so Joachim Gauck seine Rede einleitend, habe ihm in seinem Leben die Demokratie auf je eigene Weise vor Augen gestanden. „Als ich jung war und in der Diktatur lebte, war sie das ferne, leuchtende Sehnsuchtsziel. Als ich die Mitte meines Lebens überschritten hatte, eine friedliche Revolution erlebt und mitgestaltet hatte, da war sie der endlich erreichte Ankunftsort. Nun, am Abend meines Lebens, hat sich meine Sicht auf sie noch einmal verändert. Wovon ich einst träumte und was mich danach beheimatete, ist nicht die ewig festgefügte Ordnung, das unumstößlich Gute, wo die Gerechten in stabiler Sicherheit leben. Die Demokratie zeigt deutlich Schwächen.“
Neben der inneren Bedrohung der Freiheit aus der Freiheit, die in einer zwangläufig unvollkommenen Herrschaftsform wie der Demokratie immer präsent sei und der man mutig begegnen müsse, wandte sich Joachim Gauck speziell der äußeren Bedrohung zu. Für ihn, im Krieg geboren, sei das Heraufziehen eines neuen Krieges in Europa stets eine Schreckensvision gewesen. Auch er habe den von Putin begonnenen großen Krieg gegen die Ukraine nicht für realistisch gehalten. Ihm sei aber das dahinterliegende imperiale Denken des russischen Machthabers wohlbekannt. Man müsse Putins Wort vom Ende der Sowjetunion als der „größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ ernstnehmen. Putin sei ein aggressiver Autokrat. Die von Russland ausgehende Bedrohung sei besonders gefährlich, weil sie dem ganzen Konstrukt der freiheitlichen Demokratie feindlich gesinnt sei. Putins Krieg richte sich daher auch „gegen die Freiheit, die wir leben“, so Gauck. Er sei aus diesem Grund ein entschiedener Verfechter der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.
Zuvor hatte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler in seiner Begrüßungsansprache noch einmal an die Friedliche Revolution 1989/1990 erinnert. Freiheit und Demokratie seien damals nicht vom Himmel gefallen und fielen auch heute nicht vom Himmel. Für eine gefestigte Ordnung der Freien brauche es politische Verantwortung und selbstbestimmtes Handeln ebenso wie eine zivilisierte Auseinandersetzung über die Fragen der Zeit. Und es brauche nicht zuletzt Wehrhaftigkeit gegen jedwede Extremismen. Er erlebe in Sachsen gegenwärtig eine gestresste Gesellschaft, eine verunsicherte, eine erschütterte Gesellschaft, in der es um das politische Vertrauen nicht gut stehe. Und dennoch sei dies alles niemals Grund genug, um das große Ganze der Demokratie infrage zu stellen.
In einem ebenso kurzweiligen wie interessanten Podiumsgespräch mit Joachim Gauck begann Moderator Dr. Peter Ufer mit zunächst eher persönlichen Fragen zu seinen familiären Prägungen oder zu seinen Erfahrungen in der DDR und der Zeit der Friedlichen Revolution. Einmal mehr zeigte sich dem Publikum, wie viel Wirklichkeit der 84-Jährige in seinem Leben angeschaut hat, etwa exemplarisch an seinen Ausführungen zu einem „aufgeklärten Anti-Kommunismus“.
Angesprochen auf die Sorgen, die ihn hinsichtlich der Demokratie in Deutschland umtreiben, bekannte Joachim Gauck, er sei zwar ein parteiloser Wechselwähler, ergreife aber stets Partei für die Demokratie. Etwa wenn er sehe, wie sich ein neuer Nationalismus seinen Weg bahne, wenn nationalpopulistische Bewegungen in ganz Europa Wahlerfolge feierten. Dennoch sei die Beschaffenheit des heutigen Deutschlands nicht vergleichbar mit jener der Weimarer Republik. Die Probleme lägen woanders und seien politisch lösbar. „Demokraten haben Gründe für Zuversicht“ machte Gauck dem Publikum am Ende Mut. Die bundesdeutsche Demokratie sei trotz mannigfaltiger Herausforderungen nicht grundsätzlich in Gefahr.
Autor: Dr. Thomas Schubert