03.10.2022 bis 03.10.2022
Am 3. Oktober 2022 feierte der Sächsische Landtag die Wiedervereinigung Deutschlands sowie die Wiedergründung Sachsens vor über 30 Jahren. Festredner des Tages war der Präsident des österreichischen Nationalrates, Wolfgang Sobotka. Insgesamt nahmen mehr als 250 Gäste aus Politik und Gesellschaft an der Feierstunde im Plenarsaal teil. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von mehr als 30 Sängerinnen und Sängern des Sächsischen Vocalensembles unter Leitung von Matthias Jung.
Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler begrüßte die Gäste mit einer Ansprache, die den Dreiklang von Einigkeit, Recht und Freiheit in den Mittelpunkt stellte. Er erinnerte daran, dass die Verse der deutschen Nationalhymne bis heute das zentrale Versprechen des demokratischen Verfassungsstaates abbildeten. „Einigkeit zu fördern, Recht zu bewahren und Freiheit zu gewährleisten – darin liegt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Staat und in unsere Verfassung, besonders in den schweren Zeiten, die vor uns liegen.“
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft forderte Rößler mehr Zusammenhalt: „Wir brauchen wieder mehr Miteinander und kein Gegeneinander.“ Die Stärke der Demokratie bestehe vor allem in der Vielfalt ihrer Meinungen. Dies unterscheide sie ganz wesentlich von autokratischen Staaten, die Einigkeit um jeden Preis erzwingen würden.
Der Landtagspräsident ging in seiner Ansprache ebenso auf die Rolle des Rechtsstaates ein. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger von der Politik und sogar von der Verfassung abwendeten, dann sei das alarmierend. Sie dürften nicht den Glauben in die Handlungsfähigkeit des Staates verlieren.
Zum Begriff der Freiheit betonte Rößler, dass dieser konstitutiv für den heutigen Freistaat sei. Während der Friedlichen Revolution habe der Wunsch darin bestanden, von einem totalitären Staat befreit zu leben. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte er: „Freiheit ist unverhandelbar. Weder die des Einzelnen noch die von Staaten, weder bei uns noch in allen anderen Ländern dieser Welt.“
Mit Blick auf die Stimmung im Land forderte der Parlamentspräsident mehr Miteinander statt Gegeneinander: „Dieses Miteinander war zuletzt spürbar herausgefordert, nicht nur bei uns in Sachsen. Gräben haben sich vertieft, Positionen zunehmend verhärtet, Meinungen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das beunruhigt mich zutiefst.
Gesellschaftliche Einigkeit bedeutet aber nicht Gleichförmigkeit im Denken und Handeln. Im Gegenteil: Die Vielfalt an Meinungen und Einstellungen zeichnet unser freies Gemeinwesen aus. Dies unterscheidet es ganz wesentlich von autokratischen Staaten, die Einigkeit erzwingen, indem sie Proteste, Demonstrationen und jeglichen politischen Wettbewerb verbieten.
Die parlamentarische Demokratie hat sich in ihrer Geschichte stets als lernfähig und flexibel erwiesen. In diesem Sinne entsteht in einer Demokratie Politik für alle – und nicht nur für die, die meinen, im Besitz der Wahrheit zu sein. Es gibt keine Politik der Wahrheit und es gibt oft auch nicht die eine richtige Lösung.
Erkenntnisfindung beruht nicht zuletzt darauf, bei der Suche nach richtigen Entscheidungen Fehler machen zu dürfen und diese dann zu korrigieren.
Die Festrede zum 3. Oktober hielt in diesem Jahr der österreichische Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka. Er ließ die Zuhörer teilhaben an seiner Sicht auf die deutsche Einheit und die gegenwärtige politische Situation in Europa. Er schlug einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart, indem er ausführte: „Das Festhalten Helmut Kohls an einer Staatsbürgerschaft und am besonderen Charakter der innerdeutschen Grenze bis zum Schluss, zeigt, dass langfristig gedachte Politik, die der Verfassung treu bleibt, von Erfolg gekrönt wird.“
Sobotka ergänzte: „Für manche war das Festhalten an der Wiedervereinigung nur so ein Gerede, das die Entspannungspolitik und den Frieden gefährden würde.“ Letztlich aber hätten Michael Gorbatschow und Alexander Jakowlew durch Glasnost und Perestroika ein Fenster aufgestoßen, in dem sich Europa grundlegend verändern konnte. „Der Sieg der Freiheit, der Sieg der Demokratie, das Gebot der Selbstbestimmung überwand alle Hindernisse.“
Dieses Rad der Geschichte dürfe der russische Präsident Wladimir Putin nicht mehr zurückdrehen. „Gehen wir geschlossen gegen die russische Erzählung vor. Menschenrechtsverletzungen sind unteilbar und Kriegsverbrechen bleiben Kriegsverbrechen, gehören aufgearbeitet, untersucht und letztlich vor Gericht gebracht.“
Ebenso eindrücklich warnte der Präsident des österreichischen Nationalrates davor, den Antisemitismus zu unterschätzen: „Seit 2000 Jahren erhält der Judenhass kontinuierlich seine toxische Grundsubstanz und füllt sie nur in andere Flaschen. Man müsse daher Antisemiten mit allen Mitteln des demokratischen Verfassungsstaates entgegengetreten.“
Der studierte Dirigent und Violoncellist Wolfgang Sobotka ist seit 2017 Abgeordneter des Nationalrates in Wien und Parlamentspräsident. Zuvor war der 66-Jährige österreichischer Innenminister und von 2009 bis 2016 Landeshauptmann-Stellvertreter von Niederösterreich.
Der stellvertretende sächsische Ministerpräsident, Staatsminister Martin Dulig, würdigte in seiner Rede den früheren Staatsmann Michail Gorbatschow. „Er hat uns eine Hoffnung gegeben und damit die Kraft, auch Angst zu überwinden. Denn die Demonstrationen, egal ob in Plauen, Dresden oder Leipzig, konnten nur stattfinden, weil Menschen ihre Angst überwunden haben.“
Trotz ihrer Furcht vor einem harten Eingreifen der DDR-Führung seien die Menschen auf die Straße gegangen und hätten damit die Voraussetzungen für die deutsche Einheit geschaffen. Dulig verwies in diesem Zusammenhang auf seine eigene Biografie. Aufgrund seiner kirchlichen Herkunft sei ihm ein Studium versagt worden. Er habe daher Steinmetz werden sollen. Die Friedliche Revolution habe dann vieles verändert. „Heute stehe ich hier als Vize-Ministerpräsident. Und ich stehe hier in Demut und in Dankbarkeit. Denn wir haben mit der Demokratie Freiheit, Verwirklichungschancen und Wohlstand gewonnen.“