Ständeversammlung

Die Formierung der Landtage (1438-1485)

Die deutschen Landesherren des späten Mittelalters waren keine absoluten Herrscher. Sie waren in vielen Fällen auf die Zustimmung der Mächtigen und Reichen im Land angewiesen, die sie in Verhandlungen für sich gewinnen mussten.

Stände und Steuern

In den wettinischen Herrschaften kamen neben dem Fürsten und seinen Räten grundsätzlich folgende Personenkreise als Beteiligte an der Landespolitik in Betracht:

  1. Der weltliche Adel.
  2. Die teils ebenfalls adlige Geistlichkeit.
  3. Die Bürger der dem Fürsten unterstehenden Städte.
  4. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts Angehörige der Universitäten Leipzig (gegründet 1409) und Wittenberg (gegründet 1502).
  5. Die Bauern galten als vom Grundherrn vertreten und konnten nicht als Stand auftreten, obwohl sie doch die überwiegende Zahl der Bevölkerung ausmachten.
  6. Den sächsischen Juden wurde ebenfalls keine Landstandschaft gewährt.

In Bezug auf die Stände kann von einer politischen Repräsentation der Landesbewohner im modernen Sinn noch nicht gesprochen werden. Sie wurden nicht gewählt, sondern vom Fürsten geladen.

In finanzieller Hinsicht waren die Gestaltungsmöglichkeiten des Landesherrn ohne die Stände durchaus begrenzt. Meist konnte er nur indirekt, eben über die Stände, an wichtige, vor allem monetäre Ressourcen herankommen.

Hier schlug die Stunde der landständischen Bewegung. Zusammenkünfte zu Bedeverhandlungen, das zähe Ringen zwischen Fürst und Ständen um außerordentliche Finanzleistungen, gingen dem eigentlichen Landtag zeitlich vorauf. Aber auch in dessen Anfangszeit verhandelte man fast immer auch oder ausschließlich über Fragen der Steuerbewilligung.

 

Literaturhinweis:

Der erste Landtag im Jahre 1438

In ihrer der Begründung für die Zusammenkunft kehrten der damals 25jährige Kurfürst Friedrich II. (der Sanftmütige) und sein erst 12jähriger Bruder, Herzog Wilhelm III. (der Tapfere), die Not des Landes und die Einmaligkeit der geforderten Bede eindringlich hervor.

Sie verweisen auf die große Verschuldung, die angewachsen sei, vor allem weil die Bergwerkserträge rückläufig, Hochwasser aufgetreten und hohe Aufwendungen zu Verteidigungs- und Kriegszwecken notwendig geworden seien.

Wie der Revers zeigt, einigten sich Fürsten und Stände auf eine „Akzise“ genannte Verbrauchssteuer, und zwar in Höhe des 30. Pfennigs von jeglichem Verkauf im Land auf zwei Jahre.

Überdies gestanden sie den Ständen einen Ausschuss von acht Mitgliedern zu, die „Zisemeister“, die regelmäßig auf fürstliche Kosten zusammentraten und über Eingang und Verwendung der Steuern wachen durften.

Man erkennt aus den Ergebnissen der Verhandlungen klar die Abhängigkeit der Landesherren von einer Zustimmung der Stände in einer Krisensituation – aber auch die Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten.

Reminder

BILD: Revers Kurfürst Friedrichs II. und Herzog Wilhelms III. zum ersten Landtag von 1438

BILDUNTERSCHRIFT: Revers vom 9. Juni, das heißt der „Abschied“ mit den Ergebnissen und einer fürstlichen Selbstverpflichtung Kurfürst Friedrichs II. und Herzog Wilhelms III. zum ersten Landtag von 1438

Stadtarchiv Leipzig, O.U. 67,2 (Abb. 3 Handbuch)

 

Wegweisendes auf dem ersten Landtag

Der Leipziger Landtag von 1438 war keine Versammlung sämtlicher Stände Kursachsens. Und die Landstände Thüringens, die Landgraf Friedrich IV. (dem Friedfertigen) unterstanden, waren wegen der Teilung der wettinischen Lande überhaupt nicht dabei.

Das Wegweisende an der Leipziger Versammlung von 1438 war aber das Zugeständnis der Landesherren an die Stände, auch ohne gesonderte fürstliche Einberufung zusammentreten zu dürfen.

Allerdings bedeutete dies nicht etwa, dass fortan regelmäßig autonome Treffen stattgefunden hätten. Bis 1697 machten die Stände wohl nur ein einziges Mal, nämlich im Krisenjahr 1445, von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch; dabei wurde von ihnen trotz aller Zusicherungen in den Folgejahren noch wiederholt neue Beden verlangt.

Literaturhinweise:

Teilungskompetenz im Jahre 1445

Die Stände hatten von Herrschaftsteilungen oft Nachteile. Gleichwohl gelang ihnen erst bei der anstehenden Landesteilung im Jahre 1445 eine Einflussnahme.

Die Brüder Wilhelm und Friedrich hatten sich bei den Verhandlungen über die vorzunehmende Herrschaftsteilung nach der Altenburger Teilung vom 10. September 1445 zunächst nicht einvernehmlich über die Wahl des jeweiligen Landesteils einigen können.

Es stand zu befürchten, dass der Konflikt zwischen ihnen eskalieren und es zu kriegerischen Handlungen kommen würde. Nachdem verschiedene Treffen mit Räten zu keiner Lösung geführt hatten, sollten daher die Landstände bei der Teilung raten.

Es ist hier zu sehen, dass die Fürsten in einer Situation, in der sie untereinander zu keinem Einvernehmen kommen konnten, bereit waren, die Landschaft in ihre Entscheidung einzubinden.

 

Finanzfragen und Münzwesen

Um die Finanzverwaltung zu verbessern, wurde im Jahre 1469 mit der Ernennung von Johann Mergenthal das neue Amt des Landrentmeisters eingerichtet, was aber nicht bedeutete, dass nun keine Geldhilfen mehr notwendig waren: Schon im Jahre 1470 mussten sich die Stände zu einer Getränkesteuer bereitfinden und 1481 zusätzlich zu einer Abgabe für weitere Lebensmittel, jeweils auf sechs Jahre.

Neben den Versammlungen zur Erhebung von Steuern und Abgaben wurden die Stände immer wieder auch zur Gestaltung des für die Finanzwirtschaft des Landes entscheidenden Münzwesens zusammengerufen.

Das Thema sollte die politischen Versammlungen in Zukunft noch häufig beschäftigen, gerade auch nach der Leipziger Teilung Sachsens in die Länder der ernestinischen und der albertinischen Linie.

Reminder

Bild einfügen: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Münzkabinett, Ident. Nr. 18236161, © Foto: Lutz-Jürgen Lübke (Lübke und Wiedemann)

Ständeversammlungen der albertinischen und der ernestinischen Wettiner (1485-1547)

Reminder

BILD: Sachsen nach der Leipziger Teilung

BILDUNTERSCHRIFT: Sachsen nach der Leipziger Teilung im Jahre 1485

Bildquelle: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung/Wikimedia Commons

LINK: https://www.slpb.de/themen/geschichte/mittelalter-neuzeit/1485-bis-1694

LINK: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a9/Saxony_%28Division_of_Leipzig%29_-_DE.png

Stände und die Leipziger Teilung

Nachdem die Landstände bei der für sie unmittelbar wichtigen Steuerfrage seit langem und immer wieder vehement ein Mitspracherecht verlangt hatten, scheinen sie an der Frage der Integrität des „Landes“ im Jahre 1485 nur wenig Anteil genommen zu haben, patriotische Aufwallungen sucht man jedenfalls vergebens.

Mit der am 11. November 1485 in Leipzig ausgestellten Teilungsurkunde sollte nicht etwa das „Land Sachsen“, sondern wie bei den voraufgegangenen Teilungen lediglich Herrschaftsrechte unter den beiden Fürstenbrüdern Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht (dem Beherzten) aufgeteilt werden.

Dass die Leipziger Teilung von 1485 das albertinische und ernestinische Sachsen dauerhaft voneinander trennen würde, was am Ende zu den heutigen Bundesländern Sachsen und Thüringen führte, konnte damals keiner ahnen.

Wenn auch noch mehrere Jahrzehnte lang gemeinsame Absprachen der Stände beider Landesteile und gemeinsame Landtage stattfanden, führten die Entwicklungen am Ende aber dann doch dazu, dass die Landstände der beiden Gebiete auf Dauer getrennte Wege gingen.

Kriegshändel

Auch nach der Leipziger Teilung von 1485 wurden im Herzogtum Erhebungen von Sondersteuern erforderlich, nun weil Albrecht Herrschaftsambitionen in den Niederlanden militärisch durchfechten wollte, was hohe Kriegskosten verursachte.

Die Stände hatten eine Zusage aber mit der offenen Forderung nach dem Ende der kostspieligen friesischen kriegshendel verbunden und sich im fürstlichen Revers neben den üblichen Zusagen, keine weiteren Steuern erheben zu wollen, ein weiteres Mal das bedingte Selbstversammlungsrecht bestätigen lassen.

Als Albrechts Nachfolger, Herzog Georg (der Bärtige), im Mai 1515 die gewonnen Rechte abtreten musste, kamen die Hoffnungen auf eine wettinische Herrschaft in Norddeutschland allerdings an ihren Endpunkt.

Münzwesen

Für die Fürsten der beiden sächsischen Landesteile war die Unterstützung der Stände auch in Währungsfragen immer wieder essentiell, was zu mehreren Ausschuss- und Landtagen führte, ohne dass eine bleibende Lösung gefunden werden konnte.

Aber auch noch der Landtag der beiden Fürsten Johann und Georg am 26. August 1525 in Zeitz führte nicht zu einer wirksamen Münzreform. Herzog Georg glaubte danach offenbar nicht mehr an eine gemeinsame Lösung unter Einbeziehung der Stände. Am 4. Juli 1528 erklärte er einseitig eine Münztrennung für die Lande der beiden Linien.

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BILD: Taler Friedrichs III.

BILDUNTERSCHRIFT: Taler Kurfürst Friedrichs III. (1486-1525) mit Brustbild Friedrichs auf der Vorderseite, Doppelbüsten Albrechts und Johanns (der Beständige) auf der Rückseite, Münzstätte: Wittenberg?/Annaberg? (1500), silber, 29,05g, Ø 43 mm

Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Münzkabinett, Ident. Nr. 18203542, © Foto: Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Lutz-Jürgen Lübke (Lübke und Wiedemann)

LINK: Staatliche Museen Berlin – Preußischer Kulturbesitz

http://www.smb-digital.de/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&module=collection&objectId=2356034&viewType=detailView

LINK: Weitere Infos im Interaktiven Katalog des Münzkabinetts

https://ikmk.smb.museum/object?id=18203542

Land und Reich

Auf politischen Versammlungen in Sachsen kamen auch Reichsangelegenheiten immer wieder zur Sprache. In diesem Feld wird besonders deutlich, dass die Fürsten ihre Politik bei bestimmten Fragen nur in Abstimmung mit ihren Ständen betreiben wollten.

Das zeigte sich beispielsweise auf einem Landtag am 21. Januar 1495 in Leipzig. Die Stände erklärten als erstes, dass sie hofften, dass dem Fürsten wegen seiner beträchtlichen Verdienste für das Reich die persönliche Teilnahme am Romzug König Maximilians I. erlassen werde.

Was die Beteiligung am Krieg gegen die Osmanen angehe, solle der Fürst, da es den heiligen Christenglauben betreffe, gar nicht erst um Erlass bitten, vielmehr wollten Sachsen Landstände nach Kräften beisteuern. Zu einem Kreuzzug gegen die expansiven Osmanen kam es allerdings auch nach dem Wormser Reichstag von 1495 nicht.

Kriegshilfen

Beim Landtag von 1501 forderte Herzog Georg die Ratsherren seiner Landstädte auf, ein Verzeichnis der ihnen in Stadt und Umland unterstehenden steuerpflichtigen Personen anzulegen und die Steuerlast für jeden einzelnen selbst festzulegen.
Am Erfolg der Schatzung muss allerdings trotz der fünf erhaltenen Registerbände „Türkensteuer“ aus dem sächsischen Herzogtum mit etwa 75.000 Namen gezweifelt werden; es gibt jedenfalls keine Belege dafür, dass tatsächlich auch Zahlungen erfolgten.

Den im Jahre 1512 auf dem Reichstag zu Köln beschlossenen Gemeinen Pfennig lehnte der auf Einladung Georgs zusammengekommene Leipziger Landtag von Anfang Dezember 1513 mit dem Argument ab, dass das Ersuchen von Kaiser und Reichsständen eine ungebührliche Neuerung sei.

Mehr Erfolg hatte ein Ersuchen Kurfürst Friedrichs um „Türkenhilfe“ auf dem ernestinischen Landtag zu Jena von 1518. Auch spätere albertinische wie ernestinische Landtage sagten Hilfsgelder für den Kampf gegen die Osmanen zu, insbesondere im Angesicht der verlorenen Schlacht von Mohács im Jahre 1526, der Belagerung Wiens im Jahre 1529 und des Falls der Festung Ofen Anfang 1542.

Den Chemnitzer Landtag von 1546 berief Herzog Moritz ein, weil es, wie es heißt, die größte Not erfordere, dass alle Christen sich wider den Erbfeindt wenden. Allerdings drohten mit dem Schmalkaldischen Krieg noch andere Gefahren, denen begegnet werden sollte, indem dem Herzog Sondermittel in erheblicher Höhe in Aussicht gestellt wurden.

Der siegreich verlaufene Krieg gegen Kurfürst Johann Friedrich führte am 4. Juni 1547 immerhin zur Verleihung der Kurfürstenwürde an Herzog Moritz.

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BILD: Ausschreiben Herzog Georgs an die Räte seiner Landstädte von 1501

BILDUNTERSCHRIFT: Ausschreiben Herzog Georgs an die Räte seiner Landstädte vom 18. Juni 1501

 Stadtarchiv Leipzig, Tit. II A, Nr. 1, Bl. 10v (Abb. 4 Handbuch)

Tagesordnung

Durch einen Bericht des Dresdner Bürgermeisters Peter Biener können wir genauere Einblicke in den Ablauf eines damaligen Landtags nehmen.

Biener schreibt, die Leipziger Zusammenkunft im Mai 1534 sei montags morgens in Gegenwart Herzog Georgs und seiner Söhne Johann und Friedrich im Leipziger Schloss um sechs Uhr in der Früh offiziell eröffnet worden.

Georg habe als erstes die Religionsfrage angesprochen, und zwar in eigener Person. Nachdem der Fürst erklärt habe, gleich seinen Vorfahren beim alten Glauben bleiben zu wollen, hätten ihm die versammelten Stände dies ihrerseits zugesichert.

So wichtig ihm auch die Religionsfrage persönlich gewesen sein mag, ging es bei den Verhandlungen dann aber, wie so oft, um die Gewährung weiterer Steuerzahlungen, die die Stände auf sechs Jahre zusagten – wenn Gerechtigkeit beachtet werde.

Weil auch im ernestinischen Teil Ungerechtigkeiten bei der Erhebung vorlägen, habe man beschlossen, den Kurfürsten zu informieren, in der Hoffnung, dass es wegen der Sache zu einer gemeinsamen Versammlung mit dessen Ständen käme.

Es ist bemerkenswert, dass die Initiative zu einer die wettinischen Teilfürstentümer übergreifenden Versammlung von den Ständen ausging, die sich in ökonomischen Fragen offenbar nicht auseinanderdividieren lassen wollten.

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BILD: Bericht des Dresdner Bürgermeisters Peter Biener über die Geschehnisse auf dem Landtag in Leipzig am 11. und 12. Mai 1534. Vorderseite des ersten Blattes. Stadtarchiv Dresden, Landtagsvertretung, A 2, pag. 43r

BILDUNTERSCHRIFT: Bericht des Dresdner Bürgermeisters Peter Biener über die Geschehnisse auf dem Landtag in Leipzig am 11. und 12. Mai 1534

Stadtarchiv Dresden, Landtagsvertretung, A 2, pag. 43r (Abb. Quellenband)

Gravamina

Gerechtigkeitsfragen wurden bei Landtagsverhandlungen immer wieder thematisiert, wovon zahlreiche Beschwerdebriefe der einzelnen Stände zeugen. Eine wichtige Funktion des Landtages lag darin, eine Plattform zur Formulierung solcher „Gravamina“ zu bieten, um damit möglichst zum Ausgleich der Stände untereinander und gegenüber der Herrschaft zu kommen.

Die Fürsten zeigten allerdings nicht immer Verständnis für die Beschwerden, wenn sie in ihren Augen etwa lediglich Quisquilien darstellten oder Vorgänge, die auch auf direktem Wege außerhalb politischer Versammlungen gelöst werden konnten.

Konfessionalisierung

Seit Ausbreitung der reformatorischen Bewegung hing die akzeptierte Konfessionszugehörigkeit der Bewohner eines Landes oft vom persönlichen Bekenntnis des jeweiligen Fürsten ab.

Im Kurfürstentum Sachsen kam es auf dem Landtag zu Altenburg im Mai 1523 zum Durchbruch der Reformation. Die albertinischen Stände berieten über die Luthersache intensiver auf dem in Leipzig abgehaltenen Landtag vom 16. Juni 1523, der eigentlich wegen der osmanischen Bedrohung anberaumt worden war.

Während im Kurfürstentum im Jahre 1527 unter Johann (der Beständige) die Reformation förmlich eingeführt wurde, blieb das Herzogtum zu Lebzeiten Georgs bis 1539 altgläubig, jedenfalls offiziell.

Beim Leipziger Landtag vom Mai 1534 sicherten die Stände Georg beispielsweise zu, beim alten Glauben bleiben zu wollen. Auf einem Tag zu Meißen im März 1539 legte Georg den Ständen sogar auf, den Einzug der Reformation auch nach seinem Tod abzuwehren.

Der Herzog setzte seine Hoffnung also darauf, dass mit Hilfe der Stände, die ihm in Religionsfragen zum Teil mehrfach ihre Loyalität zugesichert hatten, der alte Glauben auch über seine Zeit hinaus im Land bewahrt werden könnte. Damit überschätzte er allerdings die Möglichkeiten und die Bereitschaft der Stände.

Nach Georgs Tod am 17. April 1539 trat sein Bruder Heinrich V. (der Fromme) das Erbe an, der sich bereits zuvor zur Reformation bekannt hatte. Er führte nun auch im Herzogtum rasch die evangelische Lehre ein, ohne allerdings in Bezug auf diese, für die Menschen doch so wesentliche Entscheidung dafür eigens einen speziellen Landtag abzuhalten.

Der Souverän sah sich in Religionsfragen aus eigener Machtvollkommenheit entscheidungsbefugt. Ständischen Diskussionen sollte hierbei jedenfalls kein Raum gegeben werden.

Der Landtag als gesellschaftlicher Zentralort um 1500

Blickt man auf den gesamten wettinischen Herrschaftsbereich, gab es von 1438 bis 1547 weit über hundert politische Versammlungen, zu denen neben den Landtagen auch Ausschusstage und Treffen mit einzelnen Ständen zu rechnen sind.

Als Austragungsort der Treffen überwiegt klar die reiche Handelsstadt Leipzig mit etwa 50 Zusammenkünften, wonach mit deutlichem Abstand die Bischofsstadt Naumburg mit etwa einem Dutzend und die wettinische Residenzstädte Altenburg sowie Dresden mit etwa 10 Treffen folgen.

Grundsätzlich bestand die Pflicht, einer Ladung zum Landtag nachzukommen, wofür zahlreiche Entschuldigungsschreiben an die Fürsten sprechen.

Nicht immer kam es bei Landtagen zu konkreten Beschlüssen. Sowohl für den Reichstag als auch für den Landtag der Vormoderne kann die These aufgestellt werden, dass der persönliche Informationsaustausch an sich schon einen Erfolg der politischen Versammlung darstellte, selbst wenn keine klaren Entscheidungen zustande kamen.

Eine Sachlage konnte zu komplex oder noch nicht reif für eine Lösung sein oder ein Vorteil in der Nichtentscheidung liegen, so dass es sich empfahl, die Dinge in der Schwebe zu halten.

Gerade die ständeübergreifenden Landtage boten allerdings Gelegenheit zu einem intensiven Austausch auf Landesebene. Das lässt es gerechtfertigt erscheinen, den schon den damaligen Landtag als einen wichtigen gesellschaftlichen Zentralort zu bestimmen.

Literaturhinweise:

Zehrungskosten

Zum Zeremoniell auf vormodernen Versammlungen gehörte insbesondere auch das gemeinschaftsstiftende Mahl. Das Speisen bedeutete nicht nur Ritual und Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern es war auch Anerkenntnis und Entschädigung für die Mühen und Opfer, die das Anreisen und die Abwesenheit von heimischen Verpflichtungen für die Teilnehmer bedeutete.

Die vom Fürsten beim Ausrichten eines Landtags aufzubringenden „Zehrungskosten“ konnten erheblich sein. Sie scheuten hierin offenbar keine Kosten und Mühen, wie zahlreiche Anordnungen und Spezifizierungen belegen.

Auf dem Leipziger Landtag von 1523 wurden beispielsweise an morgenmahl und nachtmahl zusammen 5.507 Essen ausgegeben. Kurfürst Friedrich und sein Sohn Johann Friedrich reisten bereits am Freitag, den 1. Mai 1523, zur Abendmahlzeit an. Sonntag kamen die Ständevertreter hinzu, die teilweise die ganze Woche über bis freitags blieben. Die Verhandlungen selbst begannen wie üblich am Montagmorgen und dauerten bis Donnerstag.

Dieser Landtag kostete nach der Abrechnung in Küche, Keller, Speisekammer, Kammer sowie für Extraausgaben 876 Gulden. Zum Vergleich: Das noch heute erhaltene repräsentative Dürerhaus in Nürnberg hatte im Jahre 1509 553 Gulden gekostet.

Für den Leipziger Landtag hat sich auch eine Liste erhalten, wie die 64 Tische auf dem Schloss und die 18 Tische im Rathaus zu besetzt waren. Die Auflistung zeigt, dass neben den eigentlichen Landtagsteilnehmern noch eine Vielzahl an unterschiedlichen Personen zu versorgen waren, die für die praktische Durchführung eines solchen Großereignisses gebraucht wurden.

Reisekosten

Das „Zehrungsbuch“ Georgs hält fest, was der Fürst für sich und seinen Hofstaat auf der Reise zu einer Ständeversammlung in Leipzig im Sommer 1538 verbrauchte.

Die Reise des Herzogs dauerte nach dem Ausgabenbuch insgesamt zwölf Tage, die Versammlung selbst sieben, von der Ankunft am Montagabend, dem 29. Juli, bis zur Abreise am Sonntag, den 4. August, nach dem Morgenmahl.

Neben Georgs Sohn, Herzog Friedrich, nahmen von fürstlicher Seite an dem Treffen teil der Kanzler Simon Pistoris, die Berater Otto von Dieskau, Hans von Kitzscher, Hans von Schönberg, Heinrich von Bünau und der Graf Hoyer von Mansfeld, Georgs Leibarzt Dr. Heinrich Stromer von Auerbach, der Rechtsgelehrte und Domherr zu Meißen Dr. Wolfgang Lüttichau sowie der für die fürstlichen Finanzen zuständige Kammermeister.

Man erfährt aus dem 32seitigen papierenen Ausgabenbuch Details wie die Entlohnung eines Fuhrmanns in Höhe von 80 Groschen für den Transport von drei Hirschen von Schellenberg nach Leipzig oder die Kosten für eine Küchenmagd und eine Schüsselwäscherin.

Es wurden nicht allein Lebensmittel herangeschafft, es sind auch Ausgaben für Arzneimittel oder zwei Schachteln Pfauenfedern für 42 Groschen vermerkt. Insgesamt wurden erhebliche Aufwendungen für die Reise in Höhe von ca. 1.000 Gulden festgehalten. Das waren 126 Gulden mehr, als der große Leipziger Landtag von 1523 nach der erhaltenen Abrechnung gekostet hatte.

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BILD: Das Zehrungsbuch Herzog Georgs von 1538

BILDUNTERSCHRIFT: Kosten für Morgenmahl in Meißen und Abendmahl Oschatz am Sonntag, den 4. August, 1538

Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10289/18 (Abb. aus Landtagskurier Kopietz)

Landtage in Torgau

Landtagsort Torgau

Die kursächsischen Landtage fanden von 1550 bis 1628 in Torgau statt. Denn diese Residenzstadt, die unter der Herrschaft des ernestinischen Linie der Wettiner gestanden hatte, kam 1547 zur albertinischen Line des Fürstenhauses. Herzog Moritz von Sachsen hatte im Bündnis mit Kaiser Karl V. seinen Vetter Kurfürst Johann Friedrich I. und den Schmalkaldischen Bund der Protestanten besiegt. Deshalb gingen die Kurfürstenwürde und ein Großteil der ernestinischen Besitzungen an Moritz über. Neben Dresden besaß der neue Kurfürst nun in Torgau, ein vollständig ausgebautes fürstliches Schloss in einer Stadt. Es bot sich an, diese zweite Residenz für Landtage zu nutzen.

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BILD: Schloss Hartenfels

BILDUNTERSCHRIFT: Schloss Hartenfels in Torgau war 1550-1628 Tagungsort der kursächsischen Landtage (Lucas Cranach der Jüngere, 1544 – Ausschnitt)

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lucas_Cranach_dJ_Hirschjagd_KHM_Schloss_Hartenfels_Torgau.jpg?uselang=de

Literaturhinweis:

Veränderungen der Ständeversammlung im 16. Jahrhundert

Die Reformation und der Wechsel der Kurwürde veränderten auch den sächsischen Landtag. Martin Luther stand stets unter dem Schutz der ernestinischen Kurfürsten. Die Untertanen der Dresdner Albertiner wurden erst seit 1539 lutherisch. Nach und nach schieden die Äbte und Pröbste aus der Ständeversammlung aus, weil ihre Klöster säkularisiert wurden. Auch die Bischöfe von Meißen, Merseburg und Naumburg-Zeitz schieden mit der Zeit und ohne Nachfolger aus ihren Ämtern. Der große Landbesitz der Bistümer wurde nun von den Domstiften verwaltet. Sie entsandten deshalb nun Deputierte zu den Landtagen.

Kurfürst Moritz teilte seinen erweiterten Herrschaftsbereich am 5. August 1547 in Kreise ein. Das ehemalige Herzogtum Sachsen-Wittenberg wurde zum Kurkreis, der Thüringer Kreis umfasste die bisherigen Besitzungen der Albertiner aus der alten Landgrafschaft Thüringen und das ehemalige Osterland bekam den Namen Leipziger Kreis. Der Erzgebirgische Kreis wurde nach Westen und der Meißner Kreis nach Norden um etwas Land aus zuvor ernestinischem Terrain erweitert. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts formierte Moritz‘ Nachfolger, sein Bruder, Kurfürst August von Sachsen, weitere Gebiete zum Neustädter Kreis (1567) und zum Vogtländischen Kreis (1570) und ließ sie zum kursächsischen Landtag zu. Die Ritterschaft und die Städte der Ständeversammlung unterteilten sich seither in sieben Kreise.

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BILD: Karte der kursächsischen Kreise

BILDUNTERSCHRIFT: Kursächsische Kreise in der Frühen Neuzeit

Blaschke, Karlheinz/Jäschke, Uwe Ulrich: Kursächsischer Ämteratlas 1790, Chemnitz 2009, Rückseite des Buches. Kontaktdaten:  Prof. Uwe Ulrich Jäschke, Zinnowitzer Str. 19 , 01109 Dresden, E-mail: Jaeschke@htw-dresden.de

Staatsschulden und Machtzuwachs des Landtags

Kurfürst Moritz häufte in seiner knapp zwölfjährigen Regierungszeit (1541-1553) vor allem durch Kriege fast zwei Millionen Gulden Schulden auf. Sein Nachfolger Kurfürst August führte zwar selbst keine Kriege, vermochte aber die drückende Lage der Staatskasse nicht zu beheben. Als seine Schulden 1570 auf über drei Millionen Gulden stiegen, entschloss er sich, seine Kredite dem Landtag zu übertragen. Ein Gremium aus vier Beamten des Fürsten und aus vier Landtagsmitgliedern der Ritterschaft nahm künftig in Leipzig die Steuern aus den sieben kursächsischen Kreisen ein, bediente daraus Zinsen und tilgte Schulden. Die Kurfürsten Christian I. und Christian II. gaben etwa doppelt so viel für ihre Hofhaltung aus wie ihre Vorgänger. Als Johann Georg I. 1611 in Dresden den Thron bestieg, war die Staatskasse immer noch hoch verschuldet. Bis zum Jahr 1620 häufte der neue Kurfürst noch weitere Kredite in Höhe von 2,8 Millionen an. Dann unternahm er einen Feldzug in die Ober- und Niederlausitz sowie nach Schlesien, weil diese Länder der böhmischen Krone sich am Aufstand gegen die Habsburger beteiligt hatten. Diese Intervention am Beginn des Dreißigjährigen Krieges kostete mehr als drei Millionen.

Da Sachsens Landtage die Steuern bewilligen mussten, wundert es nicht, dass die verschuldeten Kurfürsten ihren Landständen zwischen 1547 und 1620 erheblichen Einfluss auf die inneren Verhältnisse des Landes und gelegentlich auch auf die Außenpolitik einräumten. Der Landtag bestimmt mit über die Finanzpolitik, Löhne und Preise, fromme Lebensweise oder die Normen für Kleiderluxus und Festmähler der Untertanen. Selbst über die Katastrophen des Dreißigjährigen Kriegs hinweg konnten die kursächsischen Stände ihren innenpolitischen Einfluss bewahren. Da der Landtag stets gegen Kursachsens militärische Interventionen in die fatale Auseinandersetzung Stellung bezog, haben die Dresdner Wettiner ihre Stände bis zum Ende der Frühen Neuzeit nicht mehr zur Außenpolitik konsultiert.

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BILD: Beschießung und Übergabe von Bautzen, September 1620

BILDUNTERSCHRIFT: Hohe Staatsschulden durch Kriegskosten stärkten den Einfluss der Landtage – Kursächsische Truppen eroberten im September 1620 Bautzen (Bild: Matthäus Merian der Ältere, 17. Jahrhundert)

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bautzen-nach1620-Merian.jp

Tagen – Übernachten – Tafeln

Wann ein Landtag stattfand, entschied der Landesherr. Kurfürst August kalkulierte dazu nicht nur die Kassenlage, er bemühte auch magische Künste, um eine günstige Gelegenheit für seine Wünsche abzupassen.

In Torgau verfestigte sich der Ablauf von Landtagen so sehr, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erstmals zu Papier gebracht wurde, wie eine kursächsische Ständeversammlung abzuhalten sei. Der Kurfürst lud die vielen kleinen Mächtigen aus seinem Herrschaftsgebiet (mediatisierte Standesherren, Rittergutsbesitzer und Städte) ein. In einer feierlichen Auftaktveranstaltung gab er bekannt, worüber beraten werden sollte. Der Landtag beriet über die Forderungen in ständisch gegliederten Gremien und verhandelte seine Beschlüsse mit den Räten des Kurfürsten. Steuern wurden regulär auf maximal sechs Jahre bewilligt. War man sich einig, wurde das Resultat in einer Abschiedszeremonie feierlich verlesen. Im Schlussdokument versicherte der Landesherr der Ständeversammlung auch stets ihre tradierten Rechte.

Der Landesherr reiste mit seinen Räten und dem Kanzleiinventar an. Er brachte aber auch eine Küchenmannschaft, Kutscher, Musiker und Sicherheitspersonal mit, um in Schloss Hartenfels standesgemäß residieren zu können. Die Mitglieder des Landtages mieteten sich in Bürgerhäusern der Stadt Torgau ein. Auch sie wurden von Rossknechten oder anderen Dienern begleitet. Beraten haben die Stände im Schloss. Dort erhielten sie bis 1612 auch ihre Mahlzeiten. Die Landtage tafelten getrennt nach ihrem gesellschaftlichen Stand und in unterschiedlich würdigen Räumen. Man servierte auch höher Hierarchisierten eine größere Auswahl an Speisen und Getränken. Der Kurfürst speiste noch einmal separat an einer besonders exquisiten Tafel. Seit dem Landtag 1622 stellte Johann Georg I. das „Ausspeisen“ der Landstände ein und zahlte als Ersatz Diäten.

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BILD: Kurfürst August an der Tafel

BILDUNTERSCHRIFT: Der Kurfürst tafelte in Torgau nicht gemeinsam mit den Mitgliedern der Ständeversammlung. Kurfürst August an der Tafel (Abbildung in: Jacob von Fouilloux: New Jägerbuch, Straßburg 1580)

Bildquelle: Kurfürst August an der Tafel. In: Jacob von Fouilloux: New Jägerbuch, Straßburg 1580 SLUB Dresden, 1.Fi.485-C1441/C1472,2, Deutsche Fotothek df_dat_0002482.

Landtage in Dresden 1631-1728

Im 17. Jahrhundert wandelten sich die kursächsischen Ständeversammlungen durch zwei grundlegende Veränderungen: Die Landtage wechselten seit 1631 von Torgau in die sächsische Residenzstadt Dresden. Dennoch wurden die Beratungen der Stände aus der höfischen Welt ausgelagert. Damit entfernte sich die Ständeversammlung nachhaltig vom Modell des erweiterten mittelalterlichen Hofes, der seine Vasallen zu Rat und Hilfe zusammenrief. Während für die Landtage auf Schloss Hartenfels das Oberhofmarschallamt die Dispositionen traf, finden sich seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts immer wieder Zeremonialkonflikte, die Landtagsgremien untereinander austrugen. Sie entschieden jetzt maßgeblich über das Prozedere der Ständeversammlung und kaum noch der Hof. Das Gremium der Ritterschaft schloss beispielsweise 1657 nichtadlige Besitzer von Vasallengütern von seinen Beratungen aus. Seit 1700 durften nicht mehr alle adligen Rittergutsbesitzer an den Konsultationen teilnehmen. Es waren nur noch Personen zugelassen, die vier Generationen adliger Vorfahren nachweisen konnten. Beim Landtag 1711 wurden drei adlige Frauen, obwohl sie diese Bedingung erfüllten, aufgrund ihres Geschlechts nicht zugelassen. Ritterschaft und Städte schlossen seit 1718 Personen aus ihren Landtagsgremien aus, die sich nicht zur lutherischen Konfession bekannten.

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BILD: Dresden 1634

BILDUNTERSCHRIFT: Die kursächsischen Landtage traten ab 1631 in Dresden zusammen. Ansicht von Dresden 1634, gedruckt 1827 (SKD, Kupferstich-Kabinett)

Bildquelle: Isometrische Ansicht von Dresden, (heute Altstadt) nach Andreas Vogel um 1634, Ort, Datierung: 1827, Museum: Kupferstich-Kabinett, Inventarnummer: A 1995-1954

Literaturhinweise:

Gemeinsamer Landtag trotz Herrschaftsteilung

In anderen Debatten profilierte der Landtag seine Eigenständigkeit gegen den Fürsten. Nachdem im Dreißigjährigen Krieg mehrfach wichtige Rechte des Landtags übergangen worden waren, bot das Testament Johann Georgs I. den Landständen die Gelegenheit, den vier Erben des verstorbenen Landesherrn abzuringen, dass der Landtag nicht auf die verschiedenen Herrschaftsgebiete aufgeteilt wurde. Die kursächsische Ständeversammlung setzte 1657 auch durch, dass ihr Steuer- und Kreditwerk nicht geteilt wurde. Die Gläubiger hätten ja Kursachsen als Einheit ihr Geld geliehen. Außerdem drängten sie darauf, dass die Hochstifte Meißen, Merseburg und Naumburg-Zeitz vollständig in den Landtag integriert wurden. Denn Kursachsen habe diese im Dreißigjährigen Krieg verteidigt.

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BILD: Das Kurfürstentum Sachsen und die Sekundogenituren

BILDUNTERSCHRIFT: Das Kurfürstentum Sachsen und die Sekundogenituren (Karte: gezeichnet nach einer Vorlage von Reiner Groß: Geschichte Sachsens, Leipzig 2001)

Bildquelle: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Die Ständeversammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, Dresden 2013, S. 9 https://www.landtag.sachsen.de/dokumente/landtagskurier/Aspekte_Band_9_13_WEB.pdf.

Literaturhinweis:

  • Josef Matzerath: Einleitung [pdf] Josef Matzerath: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Die Ständeversammlungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, Dresden 2013, S. 6-11

Bevölkerung, Schulden und Militär

Im 17. und im frühen 18. Jahrhundert schwankte die Einwohnerzahl des Kurfürstentums Sachsen um etwa ein Drittel. 1630 gab es knapp 1,5 Millionen Einwohner, 1650 war es nur noch knapp eine Million und erst 1719 war der alte Stand wieder erreicht. Das lag an Krieg und Pestepidemien, an einem Kältezyklus zwischen 1695 und 1715, aber auch an zu hohen Steuern, die der Landtag zuließ. Denn das Gros der ungeheuren Schulden, die im Dreißigjährigen Krieg aufliefen, wurde der ländlichen Bevölkerung aufgebürdet. Militärisch stellte Kursachsen seine Verteidigung bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auf Söldner um und verzichtete auf stetes Drängen der Ständeversammlung darauf, eine Miliz zur Landesverteidigung (das Defensionswerk) zu nutzen.

Die polnische Krone

Als August der Starke die polnische Krone erwarb, änderte sich vieles für den kursächsischen Landtag. Der Fürst war nicht mehr durchgängig im Land und bisweilen schwerer erreichbar. Er nahm die katholische Konfession an, während Kursachsens Stände und Untertanen nur lutherisch sein durften. Vor allem aber kostete der Nordische Krieg, den August der Starke begann, ohne den Landtag zu fragen, seine sächsischen Untertanen viel Geld, brachte 1706-1707 eine schwedische Besatzung und forderte einen hohen Blutzoll. Die Kriegsnot des sächsisch-polnischen Kurfürst-Königs erklärt besser dessen Versuche, im Land mit außergewöhnlichem Druck möglichst viel Geld zu akquirieren, als davon auszugehen, dass er neben dem unglücklichen militärischen Ringen gleichzeitig noch versucht habe, gegen den Landtag einen Absolutismus durchzusetzen. August der Starke hat 1728 eine Landtagsordnung erlassen, die die Ständeversammlung zuvor detailliert debattiert hatte. Er setzte damit letztlich auf die Zusammenarbeit mit den Führungsformationen, die in Sachsen auf lokaler Ebene Macht ausübten.

Literaturhinweise:

Dresdner Landtage 1728-1831

Bis zur Landtagsordnung von 1728 wurden die Rechte und die Verfahrensweisen der Ständeversammlung immer wieder neue bestätigt, indem die Akteure sich an das Herkommen hielten. In der Frühen Neuzeit war das ein gängiges Verfahren. Am 11. März 1728 erließ August der Starke per Dekret die kursächsische Landtagsordnung. Dieser Text schrieb fest, wie ein kursächsischer Landtag stattzufinden hatte. Er galt fast unverändert bis zum Jahr 1831. Im Wesentlichen setzte die Ordnung von 1728 fort, was vorher schon üblich gewesen war.

Tagungsmodus der Ständeversammlung

Dem sächsischen Kurfürsten stand das Recht zu, Landtage einzuberufen und zu beenden. Dennoch waren die Stände keinesfalls hörigen Befehlsempfänger. Vielmehr bat der Landesherr freie Leute, die selbst Teil der Obrigkeit waren, um Rat und Unterstützung. Es war durchaus nicht ratsam, Gesetze gegen den Willen oder die Gutachten der Ständeversammlung zu erlassen. Die Mitglieder der Landtage mussten sich in Dresden anmelden, um Anspruch auf Diäten zu bekommen. Zur Eröffnung jeder Ständeversammlung wurde ein Gottesdienst zelebriert. Anschließend fanden sich die Landtagsmitglieder in den Paraderäumen des Dresdner Schlosses ein, um in einer feierlichen Zeremonie anzuhören, was der Landesherr ihnen als Beratungsgegenstand vorgab.

Reminder

BILD: Proposition im Dresdner Schloss am 6.1.1830

BILDUNTERSCHRIFT: Feierliche Landtagseröffnung im Dresdner Schloss am 6.1.1830  (Unbekannter Künstler)

Bildquelle: Unbekannter Künstler. In: Der Sachsenfreund 1830, zwischen Seite 12 und 13.

Beratungsgegenstände

Erst danach begannen die Konsultationen in den Gremien. Man tagte nicht in einem Plenum, sondern beriet in acht verschiedenen Collegia.
Laut Landtagsordnung hatten die Beratungen den Zweck fünf unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen:

1. Das Gedeihen des Herrscherhauses zu fördern,
2. Land und Untertanen zu beschützen,
3. die reine lutherische Lehre zu bewahren,
4. das wirtschaftliche Wohl aller zu fördern und
5. die Justiz aufrecht zu erhalten.

Ob das alles miteinander vereinbar war, erwog die Landtagsordnung nicht.

Corpora und Collegia der kursächsischen Ständeversammlung

ERSTES CORPUS
(Prälaten, Grafen und Herren)

ZWEITES CORPUS
(Ritterschaft)

DRITTES CORPUS
(Städte)

Prälaten, Grafen und Herren

Engerer Ausschuss

Engerer Ausschuss

 

Universitäten

Weiterer Ausschuss

Weiterer Ausschuss

Allgemeine Ritterschaft

Allgemeine Städte

Literaturhinweise:

Sachsens Entschuldung

Nachdem die Landtagsordnung 1728 in Kraft getreten war und bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges im Jahr 1756 tagte der kursächsische Landtag noch sechsmal. In diesem Zeitraum wurden die Schulden trotz erhöhter Steuern immer drückender. Neben den Altschulden aus dem Dreißigjährigen Krieg musste Sachsen hohe Militärausgaben verkraften, damit sein Kurfürst die polnische Krone tragen konnte. Auch die Ausgaben für die Diplomatie, die Zivilverwaltung und die Dynastie selbst stiegen. Als August III., der Sohn Augusts des Starken, 1763 starb und den Dresdner Wettinern die polnische Krone verloren ging, hatte Sachsen 41 Millionen Taler Schulden. Davon lasteten 29 Millionen auf der vom Landtag verwalteten Steuerkasse. Das Land stand unmittelbar vor dem finanziellen Kollaps. Denn selbst in Friedenszeiten hatte die Staatskasse vor dem Krieg jährlich nur sieben Millionen eingenommen.

Sachsens Premierminister Heinrich Graf von Brühl wurde schon während des Siebenjährigen Krieges klar, dass nach einem Friedenschluss Fürst und Landtag ihre Kreditfähigkeit wiederherstellen mussten. Deshalb beriet bereits ein Jahr vor dem Frieden von Hubertusburg eine „Restaurationskommission“ über geeignete Maßnahmen. Zwei Tage nachdem das Konzept fertig war, trat ein Landtag zusammen. Er beschloss, dass die Steuerkreditkasse auf alle Schuldscheine nur noch drei Prozent Zinsen zahle. Das beschnitt die Rendite der Gläubiger. Andererseits legte der Landtag fest, dass für Tilgung und Verzinsung sichere Steuereinkünfte zur Verfügung standen. Mit etwas Verzögerung folgte die kurfürstliche Kammer diesem Vorbild. Daher stieg der Wert der sächsischen Staatsanleihen wieder. 1763 waren sie unverkäuflich, 1769 wurden sie schon wieder für 65 Prozent ihres Wertes gehandelt und 1789 erreichten sie wieder ihren Nennwert. Der Landtag von 1763 halbierte auch den Militäretat und regte an, Münzen, die mit zu wenig Silber geprägt worden waren, aus dem Verkehr zu ziehen. Als der Staatsbankrott drohte, setzte sich die Ständeversammlung für ein Programm ein, das das Gemeinwesen sanierte.

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BILD: Trümmer der alten Kreuzkirche

BILDUNTERSCHRIFT: Schäden des Siebenjährigen Krieges. Trümmer der alten Kreuzkirche in Dresden 1765 (Bernardo Bellotto, genannt Canaletto)

Bildquelle:  https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Canaletto_(I)_013.jpg

BILD: Kurfürst Friedrich Christian, Konventionsspeciestaler 1763, Münzstätte Dresden  

BILDUNTERSCHRIFT: Sachsen führte 1763 neue Münzen ein, um den Geldwert wiederherzustellen. (Münzstätte Dresden: Konventionsspeciestaler mit Kurfürst Friedrich Christian)

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich_Cristian,_Taler_1763,_Dresden,_CNG.jpg

Stabilisierung der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft

Dennoch wollte der Landtag nicht die ständische Gliederung der Gesellschaft zugunsten einer freien Entfaltung des Marktes aufgeben. Er setzte sogar durch, dass ab 1766 Kinder von Bauern verpflichtet waren, zwei Jahre lang für die Rittergutsbesitzer zu arbeiten. Weil diese daher kostengünstig auf billige Arbeitskraft zugreifen konnten, gesundeten ihre Betriebe von den Folgeschäden des Siebenjährigen Krieges. Das stabilisierte die überkommene gesellschaftliche Hierarchie. Auch die städtischen Landtagsdeputierten bemühten sich im ausgehenden 18. Jahrhundert um den Schutz ihrer Zunftprivilegien.

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BILD: Dresdner Landhaus

BILDUNTERSCHRIFT: Das Dresdner Landhaus wurde 1775 fertig gestellt. Es war das erste eigene Gebäude eines sächsischen Landtags. (Friedrich August Krubsacius: Ausführungsentwurf der Fassade Pirnaische Gasse)

Bildquelle: Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, M 15 III e, Bl. ###: Landhaus, Neubauprojekt des Palais Flemming nach 1760, ###.

Napoleon, die Landesteilung 1815 und die politische Öffentlichkeit

Als die Armee Kurfürst Friedrich Augusts von Sachsen 1806 in der Schlacht von Jena und Auerstedt Napoleon unterlag, mussten er und sein Land dem von Frankreich dominierten Rheinbund beitreten. Napoleon sah in Friedrich August einen Verbündeten und ernannte ihn zum König. Anders als in den süddeutschen Rheinbundstaaten kam es in Sachsen während der napoleonischen Zeit aber nicht dazu, dass ein konstitutioneller Landtag eingerichtet wurde. Erst als der Wiener Kongress das neue Königreich massiv verkleinerte, gab es eine kleinere Parlamentsreform. Alle bei Sachsen verbliebenen Ständeversammlungen wurden in einen Landtag integriert. Die Oberlausitzer waren nun im Dresdner Landhaus vertreten. Außerdem war seit 1820 im Corpus der Ritterschaft ein kleines Kontingent nichtaltadliger Rittergutsbesitzer zugelassen.

In der Spätzeit der kursächsischen Ständeversammlung reklamierten einzelne Mitglieder oder auch mehrere Corpora des Landtags, für ganz Sachsen zu sprechen. Sie verlangten auch schon, ihre Verhandlungen öffentlich zu machen. Damit wollten sie sichtbar machen, dass der Landtag nicht mit allen Verwaltungsakten der staatlichen Behörden einverstanden war. Denn die landesherrliche Bürokratie griff immer weiter auf die mittlere und untere Verwaltungsebene durch. Dort hatten zuvor Rittergutsbesitzer und Stadträte eigenverantwortlich agiert. Aus dieser Disposition entwickelte sich ein weltanschauliches Spektrum der Politik, das nach der Verfassung von 1831 zunehmend die Debatten des konstitutionellen Zweikammerparlaments bestimmte.

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BILD: Kursächsische Landtagsuniform von 1806. Musterzeichnung

BILDUNTERSCHRIFT: Kursächsische Landtagsuniform von 1806. Eine Alternative zum stetigen Wechsel der Herrenmode (Sächs HStA Dresden)

Bildquelle: Sächs HStA Dresden, 10079 Landesregierung, Loc. 30666: Die Uniform der adelichen Rittergutsbesitzer betr. d.a. 1806-1814, Bl. 7: Bild genehmigte Uniform für die kursächsischen Rittergutsbesitzer.

 

Literaturhinweise: