Landtag in der Weimarer Republik

„So, so – na da macht Euern Dreck alleene!“ soll Sachsens letzter König, Friedrich August III., gesagt haben, als ihn die Revolutionäre aus dem Dresdner Ständehaus anrufen ließen. Der Monarch hatte gefragt, ob er noch etwas zu sagen habe. Die Regierungsgewalt lag aber inzwischen bei sechs Volksbeauftragten, die in einer Versammlung der Leipziger, Dresdner und Chemnitzer Arbeiter- und Soldatenräte gewählt worden waren. Im November 1918 beseitigte eine Revolution die Monarchie, ihr Kabinett und zugleich auch das bisherige Zweikammerparlament, das die neue Regierung am 7. Dezember 1918 per Dekret auflöste.

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BILD: Sitzung der Volkskammer vom 8. April 1919. Am Rednerpult Anna Geyer.

BILDUNTERSCHRIFT: Sitzung der Volkskammer vom 8. April 1919 (Süddeutsche Zeitung Photo: Foto: Scherl)

Bildquelle: Süddeutsche Zeitung Photo (Foto: Scherl).

BILDUNTERSCHRIFT: Die drei ersten Parlamentarierinnen in Sachsen: Anna Geyer (USPD) aus Leipzig-Stötteritz, Helene Wagner (MSPD) aus Chemnitz und Julie Salinger (DDP) aus Dresden

Bildquelle: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift.1919, Nr. 16, S. 387 (Privatarchiv Janosch Förster). Stadtarchiv Chemnitz, Helene Wagner. Sächs HStA Dresden, 10692, Nr. 16170, Bl. 42, Julie Salinger.

Die Volkskammer

Am 2. Februar 1919 wählte Sachsen eine vorläufige Volksvertretung: die Volkskammer. Wahlberechtigt waren alle erwachsenen Männer und Frauen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten. Jede Stimme galt gleich viel und es konnten auch Frauen gewählt werden. Das Übergangsparlament sollte zwei Jahre tagen und hatte das Recht, die Regierung einzusetzen oder zu entlassen. Die Volkskammer wählte den Sozialdemokraten Georg Gradnauer mit Stimmen aus dem linken, dem liberalen und dem konservativen Lager zum Ministerpräsidenten. Seine Regierung konnte sich auf eine Koalition von Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und linksliberaler Deutscher Demokratischer Partei (DDP) stützen. Opposition kam von Links durch die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), von der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und der konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Das Kabinett Gradnauer erarbeitete eine Verfassung für den Freistaat Sachsen, die auf Beschluss der Volkskammer am 12. November 1920 in Kraft trat.

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LINK: Matzerath, Josef: »Auf der Bahn der Demokratie und des Sozialismus«. Vom konstitutionellen Zweikammerparlament zur sächsischen Volkskammer. In: Ders.: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Varianten der Moderne 1868 bis 1952, Dresden 2003, S. 56-59 https://www.landtag.sachsen.de/dokumente/landtagskurier/Aspekte_Band_4_03_WEB.pdf

LINK: Matzerath, Josef/Jäschke, Uwe Ulrich: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Die Mitglieder der sächsischen Landtage 1833 bis 1952. III. Teil: Wahlbezirke und Raumbezüge der sächsischen Landtage, Dresden 2011, S. 225-239 [### Link auf die Website des SLT ist noch nicht möglich.]

LINK: Matzerath, Josef: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Die Mitglieder der sächsischen Landtage 1833 bis 1952. III. Teil: Mitglieder der sächsischen Landtage 1919 bis 1952, Dresden 2011, S. 7-45 [### Link auf die Website des SLT ist noch nicht möglich.]

Koalition der Linksparteien

Als Sachsen zwei Tage später wählte, wurden die pragmatischen Kompromisse der sozialdemokratisch-linksliberalen Regierung nicht angemessen honoriert. Die Wähler und die öffentliche Meinung vollzogen nicht mit, dass sich der sächsische Landtag als ein Raum erwiesen hatte, in dem über Lagergrenzen hinweg ein Vertrauen zwischen den koalierenden Fraktionen entstanden war. Die Wähler tendierten eher zu angeblich konsequenteren Konzepten der Oppositionsparteien von rechts und links. Die MSPD-Fraktion schrumpfte von 42 auf 27 Sitze, die DDP verlor von 22 Mandaten 14 Parlamentssitze und war nur noch mit acht Abgeordneten vertreten. Insgesamt behielt das linke Lager aber eine Mehrheit im Landtag. Es bildete sich daher eine Koalition aus MSPD und USPD, die von der Kommunistischen Partei (KPD) toleriert wurde. Bis zum 29. Oktober 1923 hielt diese linke Landtagsmehrheit. Sie ging verloren, weil die KPD anstrebte, die parlamentarische Demokratie durch eine Revolution zu beseitigen. Dagegen intervenierte die Reichsregierung mit Militär und stellte Sachsen unter Reichsexekution.

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LINK: Schmeitzner, Mike: Einheitsfront oder Große Koalition? Der sächsische Landtag 1923/24,. In: Matzerath, Josef: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Varianten der Moderne 1868 bis 1952, Dresden 2003, S. 60-66 https://www.landtag.sachsen.de/dokumente/landtagskurier/Aspekte_Band_4_03_WEB.pdf

BILD: Siegel des sächsischen Landtags in der Weimarer Republik

BILDUNTERSCHRIFT: Siegel des sächsischen Landtags in der Weimarer Republik (Sächs HStA Dresden)

Bildquelle: Sächs HStA Dresden, Bestand 10693, Nr. 3740, pag. 24.

Mandate in Volkskammer und sächsischem Landtag nach Parteizugehörigkeit 1919-1930

 

1919-1920

1920-1922

1922-1926

1926-1929

1929-1930

1930-1933

KPD

 

6

10

14

12

13

USPD

15

16

 

 

 

 

SPD

42

27

40

31

33

32

ASPS

 

 

 

4

2

 

DDP

22

8

8

5

4

3

VNRV

 

 

 

 

 

2

Zentrum

 

1

 

 

 

 

VRP

 

 

 

 

3

2

DVP

4

18

19

12

13

8

WP

 

 

 

10

11

10

DNVP

13

20

19

14

8

5

SLV

 

 

 

 

5

5

CSVD

 

 

 

 

 

2

NSDAP

 

 

 

2

5

14

Die Tabelle wurde zusammengestellt nach Verhandlungen der Sächsischen Volkskammer 1919/20 und Verhandlungen des Sächsischen Landtags 1920-1933 1920-1933.

Koalitionen und das gewaltsame Ende des Parlaments

Im Landtag bildete sich 1923 eine Regierung, die von der SPD und DDP getragen wurde. Solche lagerübergreifenden Koalitionen bestanden bis ins Jahr 1930. Seitdem regierte ein Beamtenkabinett, weil unter den Fraktionen des Parlaments nicht mehr hinreichend Vertrauen bestand, eine Regierung zu bilden. Der Aufstieg der Nationalsozialisten untergrub die Demokratie auch im sächsischen Landtag. Als die NSDAP am 5. März 1933 bei der Reichstagswahl die meisten Stimmen erhielt, inszenierte sie eine „Machtergreifung“ Adolf Hitlers. In diesem Kontext überfielen am 8. März 1933 Stoßtrupps der SA in Dresden den Landtag und misshandelten Abgeordnete. Mehrere Parlamentarier mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der sächsische Landtag wurde aber nicht gleich abgeschafft, sondern illegal so umgebildet, dass die Nationalsozialisten die Mehrheit hatten. Dieses Parlament verzichtete darauf, Gesetze zu genehmigen. Es räumte der Regierung ein, selbstständig Recht zu schaffen. Die letzte Sitzung dieses durch Machtmissbrauch okkupierten sächsischen Landtags fand am 22. August 1933 statt. 

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LINK: Pastewka, Janosch: „Ein erschütternder Anblick“. Der Überfall auf den sächsischen Landtag am 9. März 1933. In: Landtagskurier 5/15, S. 22 f. https://www.landtag.sachsen.de/dokumente/landtagskurier/SLT_ZS_LK_5_15.pdf

LINK: Matzerath, Josef: Nicht »besonders wesensfremde Gerüche«. Vorzeichen des NS-Terrors im sächsischen Landtag. In: Ders.: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Varianten der Moderne 1868 bis 1952, Dresden 2003, S. 77-79 https://www.landtag.sachsen.de/dokumente/landtagskurier/Aspekte_Band_4_03_WEB.pdf

BILD: Dresdner Ständehaus nach 1945

BILDUNTERSCHRIFT: Dresdner Ständehaus. Zustand nach der Herrschaft der Nationalsozialisten (SLUB/Deutsche Fotothek: Nov. 1948)

Bildquelle: SLUB/Deutsche Fotothek, 0061807.