20.03.2019 bis 20.03.2019
Zu den "Dresdner Gesprächskreisen im Ständehaus" lädt Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler regelmäßig hochkarätige Persönlichkeiten ein, um aktuelle gesellschaftspolitische Fragen zu erörtern. Zu Gast war diesmal der Nationalökonom und Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn. Er sprach zum Thema "Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel".
Er habe eine „Bringschuld als Volkswirt gegenüber der Gesellschaft“, schreibt Hans-Werner Sinn in seiner Autobiografie. Für ihn heißt das, zu zentralen wirtschaftlichen Themen und Problemen zu schreiben und selbst komplizierteste Dinge der Öffentlichkeit auf verständliche Art und Weise zu erläutern. Nicht umsonst gilt er als einer der bekanntesten deutschsprachigen Ökonomen, ist er ein mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftler, der zahlreiche Ehrendoktorwürden verliehen bekam. Hans-Werner Sinn lehrte als Professor über 30 Jahre lang Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und war von 1999 bis 2016 Präsident des renommierten ifo-Instituts.
In seiner Einführung erinnerte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler an den Beginn der Gesprächskreise im Ständehaus vor acht Jahren. Damals sei es um die Folgen der Finanzkrise 2008 in Amerika und Europa gegangen. Bohrende Fragen habe es gegeben, etwa zum Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB) oder zum Umgang mit den betroffenen Staaten. Und heute? Wie stehe es heute um diese Fragen? Die Finanz- und Schuldenkrise sei zwar beruhigt, Finanzstabilität aber anhaltend ein europäisches Großthema. Während einige Staaten auf gutem Wege seien und ihre öffentlichen Haushalte sanierten, täten sich andere damit noch immer schwer. Die dauerhafte Niedrigzinspolitik der EZB bringe zwar den öffentlichen und privaten Haushalten Zinsersparnisse, führe aber dazu, dass den deutschen Sparern Jahr für Jahr viele Milliarden Euro an Zinsen entgingen. Wenn kontrovers über die Frage einer Europäischen Einlagensicherung diskutiert werde und es Forderungen nach einem Europäischen Währungsfonds gebe, dann dürfe in keinem Fall, so Rößler, das so wichtige Haftungsprinzip ausgehebelt werden. Der müsse den Schaden tragen, der auch den Nutzen habe.
Hans-Werner Sinn ging in seinem Vortrag ausführlich auf die realwirtschaftlichen Faktoren ein, die ursächlich für die Finanz- und Eurokrise gewesen seien und die bis heute einer Konsolidierung des Euroraums im Wege stünden. Der Euro sei daher gegenwärtig vor allem ein Zankapfel und weniger ein Element von Stabilität in Europa. Der Kern des Problems liege in einem durch den Euro ausgelösten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in den Mitgliedsstaaten. So habe sich die Industrieproduktion in Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal nach der Krise im Jahr 2008 trotz massiver öffentlicher Verschuldung nicht wieder erholt (siehe Abbildung 1). Insolvenzen und hohe Arbeitslosigkeit prägten das Bild. Hingegen seien Deutschland und Österreich gut aus der Krise herausgekommen. Ihre Produktion im verarbeitenden Gewerbe liege wieder über dem Vorkrisenniveau.
Der Finanzwissenschaftler verwies darauf, dass die gemeinsame Währung zunächst eine Annäherung der Zinsen für Staatsanleihen der Euro-Länder an das niedrige deutsche Niveau bewirkt habe. Ländern wie Griechenland, die zuvor als Risikoabsicherung an die Anleger hohe Zinsen bezahlen mussten, habe dies enorme Zinsersparnisse gebracht. Die so entlasteten Staatsbudgets seien jedoch nicht zur Schuldentilgung genutzt worden, sondern hätten zu einer noch größeren Verschuldung und zu einer „Scheinsicherheit“ geführt. In der Finanzkrise 2008 sei das Kartenhaus dann schnell zusammengebrochen. Erst die „unbegrenzte Kreditausfallversicherung der EZB für die Staaten Südeuropas“ habe zwar die Krise beruhigen und die Zinsen wieder senken können, dabei aber das finanzielle Risiko auf die Steuerzahler des Euro-Raums übertragen. Die Volkswirtschaften der südeuropäischen Länder seien indes unverändert nicht wettbewerbsfähig. „Der Euro hat zu viel billigen Kredit in die Länder geleitet, hat die Binnensektoren aufgeblasen, hat die Löhne aufgeblasen, hat das Preisniveau erhöht und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit zerstört.“ Die durch die fehlende Möglichkeit zur Ab- bzw. Aufwertung in einzelnen Ländern nun nötigen Korrekturen über das Preisniveau seien jedoch kaum zu realisieren und damit „der Kern des europäischen Problems“.
Genau vier Optionen, so Hans-Werner Sinn, bestünden heute in Europa, um damit umzugehen. Man könne erstens eine Transferunion schaffen, in der die nicht mehr wettbewerbsfähigen Länder von den anderen finanziert würden. Das beruhige die Krisenländer, mache sie aber nicht leistungsfähig. Zweitens könne man die Südländer deflationieren, also das dortige Lohn- und Preisniveau absenken, was jedoch nur schwer machbar und politisch gefährlich sei. Als dritte Option gäbe es die einer Lohn- und Preiserhöhung im Norden, d.h. vor allem Deutschland würde so inflationiert. Dann sinke die deutsche Wettbewerbsfähigkeit relativ zu jener in den Südländern. Auch das sei nicht ohne Tücken. Der vierte Weg liege im Austritt eines Landes aus dem Euro und der anschließenden Abwertung der jeweiligen landeseigenen Währung.
„Wir gehen über die Rettungsschirme in eine Transferunion und damit den falschen Weg“, war sich Hans-Werner Sinn sicher. Der Euro werde nicht zerbrechen, aber eine Schuldenunion sei „extrem gefährlich“ für Deutschland. Vor allem sei es kein Weg nach Europa. Dieser bestehe weit eher in einer offenen Währungsunion, aus der man im Krisenfall auch wieder austreten könne, aus einer Konkursordnung für Staaten, die vor Missbrauch schütze, und einer „Abschaltung des Wohlfahrtsmagneten“ in Europa. Zudem brauche man eine gemeinsame europäische Armee. Denn Europa als Friedensprojekt sei wirklich alternativlos.
In der sich anschließenden Podiumsdiskussion erörterten neben Prof. Dr. Hans-Werner Sinn der sächsische Staatsminister der Finanzen Dr. Matthias Haß sowie der Vorstandsvorsitzende der Ostsächsischen Sparkasse Dresden, Joachim Hoof, die Thematik. Dabei verwehrte sich Joachim Hoof gegen eine Europäische Einlagensicherung, da viele Banken in anderen Euro-Ländern ihre „Hausaufgaben“ noch nicht gemacht hätten. Erst wenn hier gleiche Voraussetzungen vorlägen, dann könne man eine solche Einlagensicherung einführen. Bisher wehre man sich dagegen und versuche, die deutschen Sparer zu schützen, denen ohnehin schon Zinsen in Milliardenhöhe entgingen. Matthias Haß betonte, man habe in Europa mit Blick auf die Bankenkrise und besonders beim Thema Bankenregulierung die notwendigen Lehren gezogen und einige Risiken reduziert. Das gelte aber nicht für die Eurokrise, wo der Versuch, mit einer europäischen Geldpolitik Defizite in den Mitgliedsstaaten auszugleichen, eher die Grundlage für neue Krisen lege.