Sächsische Sammlungen auf dem Prüfstand

Datum 24.01.2022

Abgeordnete und Sachkundige sitzen während der Anhörung im Plenarsaal.

Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft, Hochschule, Medien, Kultur und Tourismus

Der Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD „Provenienzforschung im Freistaat Sachsen weiterentwickeln - wissenschaftliche Aufarbeitung in sächsischen Museen, Bibliotheken und Kunstsammlungen sicherstellen“ wurde am 24. Januar 2022 im Kulturausschuss angehört. Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Forschung in diesem Themenbereich auszubauen. Nun wurde zum aktuellen Stand der Vorhaben berichtet und dargestellt, welche Unterstützung der Landtag den beteiligten Institutionen künftig zukommen lassen sollte.

Den Abgeordneten des Kulturausschusses wurden während der Anhörung mit anschaulichen Beispielen berichtet, welche Erfolge die sächsische Provenienzforschung der vergangenen Jahre mittlerweile vorzuweisen hat – aber auch, wie viel Arbeit noch vor den Forschern liegt.

Unentdeckte Schätze und NS-Raubgut in kommunalen Sammlungen

Da ist die Stadtbibliothek in Bautzen, in der in zwei Forschungsprojekten Teile der Bücher-sammlung der jüdischen Familie Tietz (Begründer der Hertie-Warenhäuser) entdeckt werden konnten, deren Privatbesitz 1942 enteignet worden war. Bis dato habe man nicht wirklich ge-wusst, ob es in den kommunalen Bibliotheken Sachsens überhaupt NS-Raubgut gibt. Biblio-thekare hätten seinerzeit systematisch Leihzettel über die Namensetiketten geklebt, um deren Herkunft zu verdecken.

Das Projekt in Bautzen sei aber eine Ausnahme, denn im ländlichen Raum gebe es keine Fachexpertise, um die Altbestände in kommunalen Bibliotheken systematisch zu untersu-chen. Kleinere und mittlere Museen hätten, wenn überhaupt, höchstens einen festangestellten Mitarbeiter, der sich gezielt um die Sammlung kümmern könne. Die Arbeit entsprechender Projekte sei daher unheimlich wichtig und müsse verstetigt werden. Es diene schließlich der Aufarbeitung der Geschichte, aber auch der Identifikation mit kommunalen Einrichtungen und der außerschulischen Bildungsarbeit.

Gemessen am Gesamtbestand ist noch viel zu tun

Die Generaldirektorin der SKD, Marion Ackermann, beschrieb DAPHNE als ein Projekt mit enormer Dimension. Man werde auch in absehbarer Zeit nicht damit „fertig sein“, Kulturgut aus sächsischen Sammlungen an seine rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Zugleich machte sie darauf aufmerksam, dass auch sächsische Museen Kulturgüter verloren hätten, so dass mit dem DAPHNE-Projekt auch Rückgewinnungen möglich geworden seien.

Gilbert Lupfer von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste wies darauf hin, dass das Projekt für den Freistaat Sachsen auch deshalb eine langfristige Aufgabe sei, weil neben der Untersuchung von NS-Raubgut neue Bereiche hinzugekommen seien: der Kulturgutent-zug in der Sowjetischen Besatzungszone müsse weiter aufgeklärt werden, für Objekte, die DDR-Ausreisenden entzogen wurden, müsse stärker sensibilisiert werden und auch das sehr große Themenfeld Kolonialismus bringe für sächsische Museen fast jeder Größe weiteren Aufarbeitungsbedarf mit sich. Zu all diesen Aspekten gebe es in den großen Beständen säch-sischer Sammlungen noch sehr viel zu tun.

Weiterhin berichteten Sachkundige von Rückgaben menschlicher Gebeine und Mumienteile aus den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen an Hawaii und Australien. Man sei derzeit in weiteren Gesprächen mit Neuseeland, Namibia und Tansania. In der Sächsi-schen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) habe man im letzten Projekt zu NS-Raubgut 543 Bücher an die Lost-Art-Datenbank gemeldet. Davon habe man bisher aber nur 61 Bücher an Erbengemeinschaften o. ä. zurückgeben können. Es wur-de eindrücklich darauf hingewiesen, dass Restitutionen nicht nur sehr viel Rechercheauf-wand, sondern auch moralisches und ethisches Fingerspitzengefühl im Umgang mit Hinter-bliebenen, sowie starken juristischen Sachverstand bräuchten. Wenn es immer nur zeitlich befristete Projektstellen gebe, könne es eben auch keine kontinuierlichen Ansprechpartner geben, die notwendige Expertise würde ständig wieder abwandern.

Rückgaben, aber auch Rückgewinne

Es wurden in der Anhörung auch Befürchtungen entkräftet, mit Restitutionen würden womög-lich sächsische Museen leergeräumt. Dem sei offenkundig nicht so. Es habe einzelne, sehr berechtigte Rückgaben gegeben. Mal abgesehen davon müsse man sich doch sehr gut über-legen, ob man ernsthaft mit Stolz ein Kunstwerk ausstellen wolle, das einem nach Recht und Moral gar nicht zustehe, weil es einst geraubt oder abgepresst worden sei. Zudem gebe es durchaus auch Überlassungsvereinbarungen mit Nachkommen. Damit könnten Objekte in Sammlungen verbleiben, sie aber um ihre eigene Geschichte bereichern. Die Provenienzfor-schung diene ja genauso dazu, Werke für Sammlungen wiederzugewinnen.

Jasper von Richthofen berichtete dazu aus den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur: Etwa 80 Prozent der Bestände der einstigen Städtischen Kunstsammlungen Görlitz würden als Kriegsverluste gelten. Davon könnten sich heute zahlreiche Stücke unerkannt in polnischen Museen befinden. Daher wolle er mit polnischen Einrichtungen ein gemeinsames Forschungsprojekt anstoßen. Hierbei betrete man aber kulturpolitisches Neuland – er warb bei den Ausschussmitgliedern um entsprechende Unterstützung.

Sachkundige

  • Prof. Dr. Marion Ackermann, Generaldirektorin der SKD

  • Dr. Friedrich von Bose, Leiter Forschung und Ausstel-lungen der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen

  • Dr. Meike Hoffmann, Provenienzforscherin FU Berlin

  • Jana Kocourek, Leiterin der Abteilung Handschriften, Alte Drucke und Landeskunde der SLUB Dresden

  • Dr. Robert Langer, Leiter der Sächsischen Landes-fachstelle für Bibliotheken

  • Prof. Dr. Gilbert Lupfer, Vorstand der Stiftung Deut-sches Zentrum Kulturgutverluste

  • Dr. Jasper von Richthofen, Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur und Direktor des Sächsischen Museumsbundes

Hintergrundwissen

Washingtoner Erklärung  Internationale Übereinkunft von 1998, in der Grundsätze festgelegt wurden, wie mit Kunstwerken umgegangen wird, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und bislang nicht zurückerstattet wurden. Die konkrete Umsetzung obliegt den für Museen und Bibliotheken zuständigen Ministerien oder Landkreisen.
Provenienzforschung Fachrichtung, die erforscht, wie Gemälde, Plastiken, Bücher, Schmuck, menschliche Gebeine etc. in eine Sammlung gekommen sind. So kann man feststellen, wie legitim frühere Eigentumswechsel abgelaufen sind, aber auch die Authentizität von Objekten gewährleisten oder den Wert von Sammlungen bestimmen.
DAPHNE

Projekt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) seit 2008, um deren Bestand aus mehreren Millionen Objekten zu erfas-sen und zu bewerten. Die sächsische Soft-ware-Firma Robotron hat dafür eigens eine Datenbank entwickelt, die mittlerweile deutschlandweit in Museen zum Einsatz kommt.

Hier gelangen Sie zum Wortprotokoll der Anhörung.