Die Oktobersitzung des Ausschusses für Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung war in mehrfacher Hinsicht eine besondere. Anknüpfend an die in der letzten Legislaturperiode begründete Praxis, nach Möglichkeit jährlich eine auswärtige Sitzung in Brüssel bzw. Berlin abzuhalten, reiste der Ausschuss nach der Corona-Zwangspause erstmals wieder für zwei Tage in die "Hauptstadt" der Europäischen Union nach Brüssel.
Die Ausschusssitzung am Ort der Europäischen Kommission und des Rates der EU bietet den Abgeordneten des Sächsischen Landtags die Gelegenheit, mit einer Vielzahl von Akteuren auf dem Brüsseler Parkett in den direkten Austausch zu treten.
Im Rahmen der Unterredungen lassen sich Informationen aus erster Hand einholen, Verständnisfragen klären oder sächsische Erfahrungen und Sichtweisen in die europäische Diskussion einbringen. Bei Bedarf ergibt sich dabei auch die Möglichkeit, unmittelbar Kritik an EU-weit entwickelten Konzepten und Regelungen zu äußern und näher zu begründen.
In diesem Zusammenhang hatte sich der Ausschuss hochrangige, inhaltlich jeweils bestens informierte Gesprächspartner eingeladen, um mit diesen eine breitgefächerte europapolitische Themenpalette zu erörtern. Für körperliche Bewegung zwischen den Gesprächsrunden sollte schließlich auch gesorgt sein, fand die Sitzung doch in verschiedenen Räumlichkeiten im Brüsseler Europaviertel statt. Neben dem Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen tagte man in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU, im BerlaymontGebäude der Europäischen Kommission sowie beim Europäischen Auswärtigen Dienst.
Bereits die Briefings durch den Ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, Michael Clauß, und seine Stellvertreterin, Dr. Helen Winter, zeigten deutlich, wie vielschichtig und kompliziert die Herausforderungen der EU nach innen wie nach außen aktuell sind. Mit Verweis auf die geopolitische Situation in Sicherheits, Migrations oder Energiefragen betonte Botschafter Clauß, dass es im Sinne aller Mitgliedsstaaten liege, die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken, da sich europäische Interessen gerade hier nur gemeinsam durchsetzen ließen.
Weitere Gespräche mit dem Leiter des Arbeitsbereichs Militärpolitik der deutschen EU-Vertretung, Flottillenadmiral Jens Beckmann, oder dem Stellvertretenden Generaldirektor für Migration und Inneres der Europäischen Kommission, Johannes Luchner, machten in diesem Zusammenhang klar, wie schwierig es ist, sich innerhalb der EU auf gemeinsame Maßnahmen zu einigen, selbst wenn man sich hinsichtlich der Ziele einig ist.
Luchner formulierte angesprochen auf die stockenden Verhandlungen zum Asyl und Migrationspakt deutlich: "Entweder wir managen als EU gemeinsam oder wir managen gar nichts."
Intensive, zum Teil auch kontroverse Diskussionen führte der Ausschuss zudem mit dem Ständigen Vertreter der Europäischen Zentralbank in Brüssel, Boris Kisselevsky, im Hinblick auf die Maßnahmen der Mitgliedsstaaten und der EZB zur Bekämpfung der Inflation im Euro-Raum. Mit dem Europaabgeordneten Prof. Dr. Sven Simon gab es ein Gespräch zu den Perspektiven für eine institutionelle Reform der EU nach der Konferenz zur Zukunft Europas.
Einen ganz direkten Bezug zum Freistaat Sachsen hatte der Austausch mit Florian Woitek, Referent im "Just Transition"-Team der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission, zur Unterstützung der Europäischen Union für den Strukturwandel in den sächsischen Kohleregionen. Mit Dr. Christoph Nerlich, Mitglied im Kabinett des zuständigen EUKommis sars, erörterte man die Umsetzung der Europäischen Maßnahmen für Beschäftigung und soziale Rechte, während der EU-Sondergesandte für die Östliche Partnerschaft, Dirk Schuebel, den Abgeordneten eindrücklich die aktuelle Situation in Belarus, der Ukraine und Russland erläuterte.
In allen Gesprächen wurde eine große Einigkeit zwischen den Brüsseler Experten und den Mitgliedern des Ausschusses hinsichtlich der Notwendigkeit und Bedeutung der politischen Teilhabe nationaler bzw. regionaler Parlamente an den verschiedenen EU-weiten Diskus sionen und Entscheidungen deutlich. Vor diesem Hintergrund kann das besondere Format solcher Sitzungen auch künftig einen kleinen Teil dazu beitragen, eine dementsprechende Normalität weiter auszubauen.
Autor: Dirk Förster