Es gehört zum ungeschriebenen parlamentarischen Usus, dass der Vorsitz im Haushaltsausschuss der stärksten Oppositionsfraktion zufällt. Und so fand sich Holger Hentschel sofort nach seinem erstmaligen Einzug in das Landesparlament im Jahr 2019 an der Spitze des prestigeträchtigen Ausschusses wieder. Als ausgebildeter Bankkaufmann und studierter Wirtschaftswissenschaftler ist er im Umgang mit Zahlen geübt und wurde von seiner Fraktion für den Posten benannt.
Auch Einblicke in den Parlamentsbetrieb brachte er als ehemaliger Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten mit in den Landtag. "Zuvor hatte ich außerdem schon finanzpolitische Erfahrung auf Kommunalebene sammeln können", erzählt Hentschel, der seine politische Karriere im Stadtrat von Leipzig begann und zudem als Schatzmeister seines Kreisverbandes fungiert. "In den vergangenen Jahren bin ich dann nach und nach in das Amt des Ausschussvorsitzenden hineingewachsen."
Wir treffen uns Anfang September im Landtag. Es ist Ausschusswoche. Mittwochs tagt der Haushaltsausschuss. "Jeweils am Vortag bespreche ich mit dem Ausschusssekretariat der Landtagsverwaltung die anstehende Sitzung", lädt Holger Hentschel uns zu dem Termin am Dienstag ein. Insgesamt 16 Punkte stehen diesmal auf der Tagesordnung, die es vorzubereiten gilt. Mit dabei: die Gesetzentwürfe der Staatsregierung zum Landeshaushalt 2023/2024.
Am 29. August 2022 hatte sie diese zu einer ersten Beratung in das Plenum eingebracht. Mit 48,9 Milliarden Euro erreicht das darin veranschlagte Haushaltsvolumen in den kommenden beiden Jahren erneut ein Rekordniveau. "Jetzt beraten alle Fachausschüsse die Details und schauen sich insbesondere den Einzelplan ihres zuständigen Politikressorts an", skizziert der Finanzpolitiker Hentschel den weiteren Weg im Haushaltsverfahren.
Federführend ist hierbei der Haushalts- und Finanzausschuss, der in einer Klausurtagung alle Stellungnahmen und Änderungsanträge der Fachausschüsse bündelt und die Beschlussempfehlung für die abschließende zweite Beratung im Plenum erarbeitet. Die Terminkette ist eng, zumal auch noch mehrere Anhörungen mit Sachkundigen auf der Agenda stehen. Wichtig sei es, dass die Fraktionen zeitnah ihre Sachkundigen benennen, gibt der Ausschusssekretär dem Abgeordneten noch eine Bitte mit.
Am nächsten Morgen, Punkt 10 Uhr, eröffnet Holger Hentschel die 49. Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses. Kein anderer Ausschuss hat bislang so viele Beratungen durchgeführt. Das liegt vor allem an den zahlreichen Sondersitzungen im Zusammenhang mit der Einwilligung des Gremiums in Leistungen aus dem Coronabewältigungsfondsgesetz.
"Als Vorsitzender nimmt man die Rolle eines Leiters und Vermittlers ein", verdeutlicht der Leipziger sein Amt. Wichtig sei ihm, neben der dafür gebotenen Zurückhaltung und Neutralität, die bestmögliche "Arbeitsperformance" zu erreichen. "Ich habe mir sogar eine Glocke angeschafft. Allerdings kommt sie sehr selten zum Einsatz", räumt der 37-Jährige ein. Auch an diesem Tag benötigt er sie nicht, schließlich ist die Arbeitsatmosphäre in der nicht öffentlichen Sitzung gewohnt sachlich und konstruktiv.
Als das Haushaltsgesetz aufgerufen wird, erläutert der sächsische Finanzminister Hartmut Vorjohann Schwerpunkte des Entwurfs. Die Abgeordneten stellen erste Nachfragen, insbesondere die explodierenden Energiepreise bereiten vielen ernste Sorgen und werden wohl einer der zentralen Diskussionspunkte in den kommenden Wochen sein.
Schließlich bespricht der Ausschuss die Terminierung bis zum vorgesehenen Beschluss des Haushaltes im Dezemberplenum. »Bitte denken Sie daran, zeitnah die Sachkundigen für die Anhörungen Mitte September zu benennen«, erinnert der Ausschussvorsitzende die Fraktionen.
Bei unserem nächsten Aufeinandertreffen sind gut 30 Paar Augen auf Holger Hentschel sowie einen Abgeordneten der politischen Konkurrenz gerichtet. Warum sind Sie in die Politik gegangen? Wie stehen Sie zu digitalem Geld? Was hätten Sie beim Energie-Entlastungspaket anders macht? Ein bunter Strauß an Fragen strömt auf die Abgeordneten ein – gestellt von angehenden Bankkaufleuten eines Leipziger Berufsschulzentrums. Hentschel ist in seinem Element, drückte er doch einst an gleicher Stelle die Schulbank, wie er direkt zu Beginn des Abgeordnetengesprächs berichtet.
Eine Stunde lang stellt er sich den Fragen der Jugendlichen und diese erfahren u. a., dass ihn die Kritik am Euro dazu bewegt habe, sich politisch zu engagieren, er Bargeld für unersetzbar halte und er sich mehr Unterstützung für Unternehmen bei der Bewältigung der Energiekosten wünsche.
Bis 2024 läuft die aktuelle Wahlperiode im Landtag. Der dreifache Familienvater kann sich gut vorstellen, seinen Weg anschließend weiter in der Berufspolitik zu gehen, weiß aber auch: "Politik lässt sich nur schwer planen."
Autorin: Katja Ciesluk