Sächsischer Landtag feiert 25. Tag der Deutschen Einheit: Festveranstaltung im Zeichen der aktuellen Herausforderungen

88/2015 Datum 03.10.2015

Mit einer Feierstunde würdigte der Sächsische Landtag heute Vormittag den Tag der Deutschen Einheit. Mehr als 400 geladene Gäste verfolgten im Plenarsaal den traditionellen Festakt.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands war die Feierstunde Anlass, um die internationale Dimension der historischen Ereignisse zu beleuchten und diese den Betrachtungen eines sächsischen Bürgerrechtlers gegenüberzustellen. Die Festreden hielten Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Gründer der Gruppe der 20 in Dresden während der Friedlichen Revolution, sowie Sir Christopher Munro Clark, Historiker aus Cambridge.

Landtagspräsident Dr. Rößler besorgt über Misstrauen gegenüber Politik und Parlament
„Ich blicke mit Sorge auf das verbreitete Misstrauen gegenüber der Politik, auf die Ablehnung, ja die Verachtung, die Politikern, Parteien und dem Parlament mitunter entgegenschlägt“, sagte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler in seiner Ansprache zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit. „Es entsetzt mich, wenn Wut und Hass die Richtschnur politischen Forderns und Handelns sind. Und es entsetzt mich, wenn Extremisten – egal ob rechte, linke oder islamistische – Gewalt ausüben. Aber auch die zuweilen spürbare Selbstbezogenheit der Politik, ihre hie und da sichtbare Entfremdung von der Bürgerschaft sehe ich mit Besorgnis.“

Mit Blick auf den 3. Oktober 1990, zugleich Tag der Wiedergründung des Freistaates Sachsen, betonte Landtagspräsident Dr. Rößler: „Die deutsche Einheit war eine sächsische und ostdeutsche, eine nationale, aber auch eine europäische und weltgeschichtliche Leistung. Die Sachsen haben damals nach Freiheit sowie nach Selbstbestimmung gerufen und dabei immense innerdeutsche und europäische Solidarität erfahren. Das dürfen wir nie vergessen, sind wir es doch heute, deren Solidarität und Hilfe benötigt werden. Aber wir müssen auch unsere Grenzen kennen, die Grenzen unserer Leistungskraft, unserer Integrationsfähigkeit, unseres Staates. Wer diese Grenzen aus dem Blick verliert, gefährdet die Stabilität unseres Gemeinwesens und verspielt die vor einem Vierteljahrhundert so hart errungene Gestaltungsfähigkeit der eigenen Verhältnisse.“

Martin Dulig, Staatsminister und stellvertretender sächsischer Ministerpräsident, sagte: „Die Aufbauleistung, die wir Ostdeutschen seit der Wiedervereinigung vor 25 Jahren erbracht haben, ist enorm. Verglichen mit 1990 ist die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens ein voller Erfolg. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir dies mit höherer Arbeitslosigkeit, De-Industrialisierung und niedrigen Löhnen bezahlt haben. An der Vollendung der sozialen Einheit, an der Angleichung der Lebensverhältnisse, müssen wir deshalb weiterhin arbeiten. Entscheidend für die Zukunft des Freistaates wird aber der Umgang mit Zuwanderung und der derzeitigen Flüchtlingssituation werden. Es müssen jetzt die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen werden, um die vielen Menschen, die in ihrer Not zu uns kommen, nicht nur freundlich zu begrüßen, sondern dauerhaft bei uns zu integrieren.“

Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, fordert offenen Dialog zwischen Politik und Gesellschaft
Frank Richter verwies in seiner Rede auf die Veränderungen der vergangenen 25 Jahre, die besonders für die Menschen im Osten tiefgreifend und umfassend gewesen seien. „Ich sehe Erscheinungen von Erschöpfung. Diese treten gerade jetzt zu Tage, da sich unsere Gesellschaft erneut auf große Veränderungen einzustellen hat.“ Zum offenen Dialog zwischen Politik und Gesellschaft gäbe es keine vernünftige Alternative, so Richter weiter, der zugleich davor warnte, „die existentiellen Nöte der Flüchtlinge gegen die berechtigten Sorgen und Fragen der ansässigen Bevölkerung auszuspielen“. Vielmehr müsse es darum gehen, „die Veränderungen im Ausgleich zwischen dem Bewahren und dem Erneuern im gegenseitigen Respekt und kultiviert zu gestalten“.

Sir Christopher Clark: Europäische Union ist unverzichtbar
Der Historiker Sir Christopher Clark bezeichnete die Ereignisse der Jahre 1989/90 als einschneidende Zäsur für die Menschen, die tiefe Spuren hinterlassen habe.  Die Vereinigung sei kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess, der nach wie vor im Gange sei und dabei eine stetig wachsende Akzeptanz erfahre. Mit dem Ende des Kalten Krieges, so Clark weiter, sei ein multipolares Mächtegefüge in der Welt entstanden, das mehr Unberechenbarkeit in sich trage. Trotz aller Schwierigkeiten und Alleingänge der Nationalstaaten im Umgang mit aktuellen Krisen sei die Europäische Union unverzichtbar und darüber hinaus auf das Engste mit Deutschland verbunden. „Die deutsche Frage war schon immer eine europäische Frage.“ Für die Zukunft sei es wichtig, dass die Politik noch klarer ihre Anliegen und Positionen kommuniziere und zugleich die Nationalstaaten ihre Egoismen zurückstellen.

Seit 1991 führt der Sächsische Landtag als einziges deutsches Länderparlament jedes Jahr am Tag der Deutschen Einheit eine Festveranstaltung durch. An ihr nehmen traditionell Abgeordnete des Landtags, des Europaparlaments und des Bundestags, Mitglieder der Staatsregierung und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Sachsen teil. Außerdem waren erneut zahlreiche Bürgerinnen und Bürger unter den Gästen.