27.01.2017 bis 27.01.2017
Mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen gedachten die Menschen am 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, der Millionen Opfer des Nationalsozialismus. Der Sächsische Landtag und die Staatsregierung luden zu einer Gedenkstunde in den Plenarsaal des Sächsischen Landtags.
Mehr als 350 Gäste, darunter Abgeordnete, Mitglieder der Staatsregierung, Vertreter von Opferverbänden, Schüler und Repräsentanten des öffentlichen Lebens verfolgten die eindringliche Gedenkrede von Jacek Zieliniewicz, Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Dautmergen.
Zeitzeuge Jacek Zieliniewicz: „Unsere Sorge ist die Zukunft, Eure Zukunft!“
„Ich hätte nie gedacht, in Deutschland Freunde zu finden. 50 Jahre wollte ich mit den Deutschen nichts zu tun haben. Ich habe sie verachtet.“, beschreibt Zieliniewicz während der Gedenkstunde seine Gefühlslage, die ein halbes Jahrhundert seine Haltung bestimmte. „50 Jahre habe ich kein Deutsch gesprochen“, erzählt der 90-jährige Pole und meint damit im Prinzip noch viel mehr. Wie so viele hat er jahrzehntelang überhaupt nicht über seine schrecklichen Erlebnisse gesprochen. Er sei ein „Feind zwischen Feinden gewesen“ – heute sei er „ein Freund zwischen Freunden“. Zieliniewicz spricht leise, aber mit fester Stimme. Die Zuhörer sind sichtlich ergriffen, nicht nur als er vom Leben und vom Sterben in den Lagern berichtet.
Sein Schweigen brach der Zeitzeuge 1995 – eine Einladung ins ehemalige KZ Dautmergen markierte den Wendepunkt. Seither hat es sich Jacek Zieliniewicz zur Aufgabe gemacht, seine Erinnerungen weiterzugeben. Er war 17, als er im August 1943 verhaftet wurde – die Gründe für die Verhaftung hat er nie erfahren. Er überlebte die KZ Auschwitz-Birkenau und Dautmergen und die Todesmärsche kurz vor Kriegsende. Mit 19 Jahren kehrte er als Überlebender in seine polnische Heimat zurück, er arbeitete als Ingenieur, gründete eine Familie, führte ein „normales“ Leben – die Erinnerungen an die Kriegsjahre tief im Gedächtnis eingeschlossen.
Heute spricht Zieliniewicz über sein Schicksal, vor allem an polnischen und deutschen Schulen – damit es Mahnung sei – Mahnung für ein „Nie wieder!“. „Jedes Jahr sind wir in deutschen Schulen. Jedes Jahr sind wir da.“ Wenn er wir sagt, meint er die wenigen noch lebenden Zeitzeugen. „Unsere Sorge ist die Zukunft, Eure Zukunft!“, wendet er sich an die Schülerinnen und Schüler des St. Benno-Gymnasiums sowie des Gymnasiums Bürgerwiese (beide Dresden), die die Veranstaltung im Plenarsaal verfolgen.
Landtagspräsident Rößler: „Mit dem Erinnern nicht aufhören“
Es sei der frühere Bundespräsident Roman Herzog gewesen, der 1996 den 27. Januar als bundesweiten Gedenktag ins Leben gerufen habe, als einen wirklichen Tag des Gedenkens, ja des Nachdenkens, sagte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler zu Beginn der Veranstaltung und betonte wie „unermesslich wichtig“ dessen Handeln gewesen sei. Roman Herzog habe die Deutschen auf diese Weise an ihre historische Verantwortung erinnert, mit dem Erinnern nicht aufzuhören und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wenn „schon an den einstigen Orten des Terrors zunehmend die Spuren verwischen“, so der Landtagspräsident, dürfe das nie beim Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus geschehen. Die Opfer und das Wissen der Überlebenden, das Erlebniswissen über Diktatur, Gewaltherrschaft und das Menschheitsverbrechen Holocaust, müssten stets von uns gesehen werden. Zeitzeugen wie Jacek Zieliniewicz zeigten authentisch auf, wie es in einer Zeit war, „von der wir heute kaum eine Vorstellung mehr haben, an Orten, die jenseits jeder menschlichen Vorstellungskraft liegen“.
Ministerpräsident Tillich: „Wer Begriffe aus der NS-Zeit benutzt, überschreitet eine rote Linie.“
„Das Sprechen über Auschwitz ist schwer und notwendig zugleich“, sagte auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich. „Gedenken und Erinnerung sind wichtig und dürfen nicht aufhören. Das ist unser Auftrag, das ist unsere Verantwortung, die wir als Deutsche in besonderer Weise aus unserer Geschichte auferlegt bekommen.“ Tillich äußerte sich ebenfalls besorgt über verblassendes historisches Wissen und mahnte einen verantwortlichen Umgang mit Geschichte an. Ein sensibles Messinstrument hierfür sei die Sprache. „Wer Begriffe aus der NS-Zeit benutzt, überschreitet eine rote Linie. Er bedient sich einer Sprache, die spaltet und verunglimpft, die ausgrenzt und diffamiert, die abwertet und demütigt, die polarisiert und ausschließt, die abspricht und entrechtet.“ Dem, so Tillich, müssen wir widersprechen, indem wir eine andere Sprache sprechen: „Die Sprache des Grundgesetzes, der Freiheit und der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaats – oder schlicht der Mitmenschlichkeit“.
Landesbühnen Sachsen: „Das Tagebuch der Anne Frank“
Ausschnitte aus der Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“. von Grigori Frid rundeten die Gedenkstunde künstlerisch ab. Die Landesbühnen Sachsen haben das weltbekannte Schicksal der jungen Anne Frank als Klassenzimmerstück aktuell neu inszeniert. Sopranistin Miriam Sabba verschafft darin der Stimme Anne Franks eindrucksvoll Gehör – nicht nur vor jungem Publikum. Anne Franks Tagebucheinträge aus der Zeit ihres Unterschlupfs in einem Amsterdamer Hinterhaus von 1942 bis zu ihrer Verhaftung im August 1944 durch die Gestapo, ihre «Briefe» an die fiktive Freundin Kitty, tragen wie kaum ein anderes Werk die zeitlose Botschaft von Frieden, Gerechtigkeit und Humanismus an jede Generation neu in die Welt hinaus.
Hintergrund 27. Januar
Der 27. Januar ist in der Bundesrepublik Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Er wurde vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog proklamiert und bezieht sich auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945. 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Gedenktag. Seit 2006 gedenken der Sächsische Landtag und die Staatsregierung der Opfer mit einer gemeinsamen Veranstaltung im Plenarsaal des Sächsischen Landtags.
Alle Reden der Gedenkstunde erscheinen als Gedenkschrift zum Nachlesen.