19.04.2018 bis 20.04.2018
Flandern im Herzen Westeuropas und Sachsen in Mitteleuropa trennen etwa 700 km – aber die Interessen beider Regionen insbesondere in der Europa- und Flüchtlingspolitik sind ähnlich. Das wurde beim Besuch flämischer Abgeordneter vom 19. bis 20. April 2018 im Sächsischen Landtag deutlich. In den politischen Gesprächen vor Ort standen die Themen "Flüchtlinge und Migratin" sowie "Die Rolle der Landesparlamente im Europa von Morgen" im Mittelpunkt.
„Kaum einen Parlamentspräsidenten habe ich seit 2009 in europäischen Gremien öfter getroffen als meinen geschätzten Amtskollegen Jan Peumans“, so Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler zur Begrüßung der Delegation flämischer Abgeordneter in Dresden. Beide Länderparlamente pflegen seit einiger Zeit den gegenseitigen Kontakt und engagieren sich in der „Konferenz der europäischen regionalen gesetzgebenden Parlamente“.
Zuletzt war im März 2017 eine Delegation des Sächsischen Landtags im Rahmen einer Brüssel-Reise mit Abgeordneten des Flämischen Parlaments zusammengetroffen. Diesmal konnten sich die zwölf Gäste aus Flandern ein Bild vom deutschen Föderalismus sowie vom Parlamentarismus in Sachsen machen. Selbstverständlich kam auch die Dresdner Stadtkunde nicht zu kurz (u. a. mit einem Besuch der Frauenkirche), der Fokus lag dennoch auf dem politischen Austausch.
Die Interessen Flanderns und Sachsens sind insbesondere in der Europa- und Flüchtlingspolitik ähnlich, das zeigte sich bei einer Gesprächsrunde mit Sachsens Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller und Abgeordneten beider Parlamente. „Die großartige Idee Europas nimmt Schaden, wenn wir die Sicherheit für die Bürger Europas nicht gewährleisten“, sagte Wöller – und dazu gehöre ein effektiver Schutz der EU-Außengrenzen. „Hier muss Europa endlich wieder handlungsfähig werden, denn nur dann können wir eine Solidarität der osteuropäischen Staaten erwarten“, betonte auch Matthias Diependaele, Fraktionsvorsitzender der Neuen Flämischen Allianz (N-VA), der mit Abstand stärksten Partei im Flämischen Parlament. Ähnlich wie Deutschland habe auch Flandern überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen, weshalb eine Neuverteilung der Migranten nötig sei. Die Abgeordneten beider Seiten waren sich einig, dass es hier einer Stärkung der EU bedürfe. „Die Europäer, auch die Flamen und Sachsen, teilen über Ländergrenzen hinweg gleiche Werte. Aber wir alle müssen diese westlichen Werte, den Rechtstaat und unsere Identität auch verteidigen – in den Regionen ebenso wie auf europäischer Ebene“, betonte Landtagspräsident Rößler.
Deutlicher wurden die Unterschiede bei der abendlichen Podiumsdiskussion in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Die Parlamentspräsidenten unterhielten sich dort zum Thema „Die Rolle der Regionalparlamente in Europa von Morgen“. Flandern, so Peumans, habe im Vergleich zu den deutschen Ländern mehr eigene Zuständigkeiten, sei in einigen Feldern gar völlig autonom. Zudem breche in Belgien Bundesrecht nicht Landesrecht. Jede der Staatsreformen habe in den vergangenen Jahren den Regionen mehr eigene Rechte gebracht. In Deutschland hingegen, so Rößler, sei der Föderalismus historisch bedingt eher kooperativ angelegt, und es sei durchaus sinnvoll, viele Standards zwischen den Bundesländern zu vereinheitlichen. Dennoch würden die Länderkompetenzen zunehmend eher beschnitten denn erweitert. Zudem sei für die Landesparlamente nahezu unmöglich, auf den Bundesrat, also auf die Vertretung der Länder im Bund, einzuwirken.
Belgien hat sich in den letzten vier Jahrzehnten von einem Einheitsstaat zu einem Bundesstaat gewandelt, in dem drei Regionen und die mit ihnen weithin deckungsgleichen Sprachgemeinschaften über viel politische Autonomie verfügen. Während in der Region Flandern überwiegend Niederländisch gesprochen wird, ist Wallonien weithin französischsprachig und teilweise deutschsprachig. In der Region Brüssel-Hauptstadt kommen alle drei Sprachen vor. Das innerbelgische Verhältnis ist daher spannungsgeladen, seit dem 19. Jahrhundert gärt der flämisch-wallonische Konflikt zwischen den Gemeinschaften. Das heterogene Belgien ist ein von Teilung bedrohtes Land. Ein stetig vertiefter Föderalismus, der nur noch Kernbefugnisse wie Verteidigung auf nationaler Ebene belässt, soll das vermeiden helfen.
Flandern ist die nördlichste Region des Königreichs Belgiens und mit einer Fläche von 13.522 km² rund ein Viertel kleiner als Sachsen. 6,5 Millionen Einwohner machen es jedoch zu einer sehr dicht besiedelten Region im Herzen Europas. Amtssprache ist Niederländisch. Das wirtschaftlich starke Flandern profitiert u.a. von der großen ökonomischen Bedeutung der Hafen- und Handelsstadt Antwerpen. Weitere bekannte Städte in Flandern sind Brügge und Gent.
Das Flämische Parament ist eine junge Institution. Seine Geschichte verknüpft sich unmittelbar mit der 1970 begonnenen Föderalisierung Belgiens. Die Volksvertretung mit Sitz in Brüssel übt heute die legislative Zuständigkeit für die Sprachgemeinschaft wie für die Region Flandern aus. Das Flämische Parlament (124 Sitze) beschließt alle die Flamen betreffenden Dekrete (Gesetze) u.a. auf den Gebieten Kultur, Schule, Wissenschaft, Wirtschaft, Verkehr oder Umwelt. Seit der Wahl 2014 besteht das Parlament aus sieben Parteien. Stärkste Kraft ist die Neue Flämische Allianz (N-VA) mit 43 Sitzen. Sie bildet zusammen mit den Christdemokraten (CD&V) und den Liberalen (Open VLD) eine Regierungskoalition.