In einer öffentlichen Anhörung am 29. August 2025 beschäftigt sich der Ausschuss für Schule und Bildung mit dem Antrag der Fraktion BSW »Anerkennung der Dyskalkulie als Teilleistungsschwäche«. Der Antrag zielt darauf ab, für betroffene Kinder Nachteilsausgleiche sowie einen sogenannten Notenschutz zu ermöglichen. Bereits im November 2024 wurde beim Sächsischen Landtag zu diesem Thema eine Petition eingereicht.
Im IQB-Bildungstrend 2021 verfehlten rund 21,8 Prozent der Viertklässler in Deutschland den Mindeststandard in Mathematik. Das heißt, sie verfügen nicht über die notwendigen Basiskompetenzen, um ab Klassenstufe 5 regulär Mathematik lernen zu können. Sachsen steht zusammen mit Bayern noch vergleichsweise gut da (etwa 13 Prozent). Doch auch im Freistaat nimmt die Rechenschwäche unter Schülern zu. Um über das Thema zu sprechen, waren Ende August mehrere Sachkundige im Landtag zu Gast. Ihre Positionen und Meinungen lagen dabei teilweise erheblich auseinander.
Prof. Dr. Antje Ehlert von der Universität Potsdam erklärte, wenn ein Kind in der 4. Klasse noch mit Fingern zähle, dann sei es in seiner Entwicklung stehengeblieben. Um Abhilfe zu schaffen, brauche es frühestmögliche Förderung. Mathematische Schwierigkeiten wüchsen sich nicht von allein aus. Silke Korb vom Landesamt für Schule und Bildung in Chemnitz beleuchtete mögliche Ursachen. Diese lägen unter anderem in einer veränderten Kindheit mit Reizüberflutung und dem übermäßigen Gebrauch von elektronischen Medien. Oft fehle es auch an einer korrekten Thematisierung mathematischer Inhalte im Vorschulalter.
Gymnasiallehrer Christian Dietz-Verrier sowie Steffen Marx vom Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche Leipzig/Halle waren sich darin einig, dass eine Rechenschwäche vollständig und nachhaltig beseitigt werden könne. Läge eine genetische oder hirnorganische Ursache vor, wäre es hingegen eine unveränderliche Störung. Dies lasse sich allerdings nicht belegen. Dietz-Verrier sagte: »Ich bin aus meiner Erfahrung als Mathematiklehrer durchaus der Meinung, dass man das allermeiste in angemessener Weise und mit Nähe zu den Schülern hinbekommen kann, anstatt sie zu stigmatisieren.« In diese Richtung argumentierte auch Prof. Dr. Sebastian Schorcht von der TU Dresden. Er sagte, dass es die wissenschaftliche Position der Fachdidaktik ablehne, Kindern pauschal eine Rechenkrankheit zu attestieren.
Carola Nacke vom LandesElternRat Sachsen teilte diese Sicht nicht. Sie betonte, dass die Anerkennung der Dyskalkulie als Teilleistungsschwäche Kindern und deren Familien einen Zugang zu Therapien sowie den Nachteilsausgleichen eröffne. Es entlaste sie zudem von dem Verdacht, einfach nur »faul« oder »dumm« zu sein. Prof. Dr. Karin Landerl von der Universität Graz forderte, die Dyskalkulie der Lese-Rechtschreib-Schwäche gleichzustellen. Das Geld für und Hilfen werde nach Beendigung der Schulzeit und der Ausbildung eingespart.
Prof. Dr. Michael Skeide vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften vertrat die Meinung, dass »Dyskalkulie in die Wiege gelegt werde«. Sichtbar werde sie meist erst in der Schule. Um dagegen etwas zu unternehmen, sei die Implementierung statistisch fundierter Verfahren zur Früherkennung und Frühförderung bereits ab dem Alter von vier Jahren sinnvoll. Dem schloss sich Alexander Ziegler vom des LandesElternRat Sachsen an. Auch Ingrid Simonis vom Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie betonte, Dyskalkulie könne eindeutig diagnostiziert werden und erfülle die Kriterien der Behinderung. Sie sei wie die Legasthenie eine neuronale Entwicklungsstörung. Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs seien ein Zeitzuschlag, technische und didaktische Hilfsmittel, die Nutzung von Eins-plus-eins- oder Ein-mal-eins-Tabellen, eine vereinfachte Darstellung von Aufgaben und Anforderungen sowie die Verwendung einfacher Taschenrechner.
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Autor: Dr. Daniel Thieme